Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
und Straßen!
O König der Verzweiflung inmitten aller Pracht, schmerzensreicher Herr von Palästen, die nicht genügen, Meister feierlicher Gefolge und glänzender Feste, die das Leben nicht auszulöschen vermögen! …
O König, auferstanden aus Gräbern, der du kamst in Nacht und Mondlicht, dein Leben den Lebenden zu erzählen, Page entblätterter Lilien, kaiserlicher Herold beinerner Kälte!
O König, Hüter der Schlaflosigkeit, Ritter der Ängste, ruhmlos und unbeweibt Reisender auf Mondlichtstraßen, Herr über Wälder und Schluchten, stummer Schattenriß mit geschlossenem Visier, durch Täler ziehend, unverstanden in den Dörfern, verspottet auf den Märkten, verachtet in den Städten!
O König, vom Tod zu seinesgleichen erhoben, bleich und absurd, vergessen und verkannt, herrschend zwischen mattem Marmor und verblichenem Samt, auf seinem Thron an der Grenze des Möglichen, umgeben von seinem unwirklichen Hofstaat, ein Kreis aus Schatten, beschützt von seiner wundersamen Garde, geheimnisvoll und nicht vorhanden.
Bringt, ihr Pagen, Jungfrauen, Diener und Dienerinnen, bringt herbei die Pokale, Teller und Girlanden, bringt sie herbei für das Festmahl, zu dem der Tod lädt! Bringt sie, und kommt in Schwarz und mit Myrthen bekränzt!
Bringt Mandragora in den Pokalen, […] auf den Tellern, und Girlanden aus Veilchen, aus allen Blumen, die an Trauer gemahnen.
Der König begibt sich zum Gastmahl mit dem Tod in seinen alten Palast am See, in den Bergen, fern des Lebens und abgewandt der Welt.
Laßt Orchester aufspielen mit seltenen Instrumenten, deren bloßer Klang weinen macht. Kleidet die Diener in Livreen unbekannter Farbe, prächtig und schlicht wie die Katafalke der Helden.
Und ehe das Gastmahl beginnt, laßt durch die Alleen der weiten Gärten den langen mittelalterlichen Zug toten Purpurs ziehen, das große, stille Zeremoniell, wie Schönheit durch einen Alptraum.
Der Tod ist der Triumph des Lebens!
Durch den Tod leben wir, denn wir sind heute nur, weil wir für das Gestern gestorben sind. Durch den Tod hoffen wir, denn wir können an das Morgen nur glauben, weil uns der Tod des Heute sicher ist. Durch den Tod leben wir, wenn wir träumen, denn träumen heißt das Leben verneinen! Durch den Tod sterben wir, wenn wir leben, denn leben heißt die Ewigkeit verneinen! Der Tod leitet uns, der Tod sucht uns, der Tod begleitet uns. Alles, was wir haben, ist der Tod, alles, wonach uns verlangt, ist der Tod, der Tod ist alles, wonach uns sehnsüchtig verlangt.
Ein Hauch Aufmerksamkeit weht durch die Flügel des Palastes.
Schon naht er, mit dem Tod, den keiner sieht, und mit […], der nie eintrifft.
Herolde, stoßt in eure Hörner! Habt acht!
Deine Liebe zu geträumten Dingen war Verachtung für gelebte Dinge.
Jungfräulicher König, der die Liebe verachtete,
Schattenkönig, der das Licht verschmähte,
Traumkönig, der das Leben nicht wollte!
Unter dem ohrenbetäubenden Lärm der Zimbeln und Pauken ruft die Finsternis dich zum Herrscher aus!
Maximen
Feste, eindeutige Meinungen, Instinkte, Leidenschaften und einen zuverlässigen, erkennbaren Charakter haben – all dies macht aus unserer Seele schrecklicherweise etwas Reales, Materielles und Äußerliches. Ein wohliger, fließender Zustand der Unkenntnis aller Dinge und der eigenen Person ist der einzige Zustand, in dem es sich für einen Wissenden angemessen und herzerwärmend leben läßt.
Wer sich fortwährend zwischen sich selbst und die Dinge zu stellen vermag, hat die höchste Stufe der Weisheit und Umsicht erreicht.
Unsere Persönlichkeit sollte unergründbar sein, auch für uns selbst. Träumen wir also und beziehen uns ein in unsere Träume, damit wir uns keine Meinung über uns selbst bilden können.
Insbesondere aber sollten wir unsere Persönlichkeit vor einer Inbesitznahme durch andere schützen. Jedes fremde Interesse an uns ist eine beispiellose Taktlosigkeit. Wäre der banale Gruß »Wie geht es Ihnen?« für gewöhnlich nicht durch und durch unaufrichtig und hohl, wäre er unverzeihlich und geschmacklos.
Lieben heißt der Einsamkeit müde sein, mit anderen Worten, Liebe ist Feigheit, Verrat an uns selbst. (Somit ist es höchst wichtig, nicht zu lieben.)
Einen guten Rat geben heißt, der Fähigkeit zum Irrtum hohnsprechen, die Gott anderen gegeben hat. Im übrigen sollten wir einen Vorteil darin sehen, daß die anderen anders handeln als wir. Es ist nur sinnvoll, andere um Rat zu fragen, um – indem wir genau
Weitere Kostenlose Bücher