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Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Zenith , Fernando Pessoa
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von mir als König träumen. Verspüre plötzlich diesen Wunsch. Und siehe da, schon bin ich König irgendeines Landes. Was für ein König, welcher Art, wird der Traum mir sagen … Und da ich diesen Sieg über meine Träume errungen habe, sind sie mir stets unverhofft zu Willen. Wenn ich mir die vagen Eindrücke, die ich aus diesem Leben empfange, deutlicher vor Augen führe, wird es nahezu perfekt. Ich bin gänzlich außerstande, mir das im Traum erlebte Mittelalter verschiedener Zeitabschnitte und Länder bewußt vorzustellen. Mit Staunen nehme ich meine überreiche, an mir bisher ungekannte Phantasie wahr. Ich lasse die Träume an mir vorüberziehen … Sie sind so klar, daß sie meine Erwartungen stets aufs neue übertreffen. Sie sind schöner als das, was ich wollte. Doch darauf kann nur der perfekte Träumer hoffen. Jahre habe ich träumend nach dergleichem gesucht. Heute kommt es von allein …

    Am besten beginnt man mit dem Träumen anhand von Büchern. Vor allem Romane sind für den Anfänger hilfreich. Lernen, sich der Lektüre vollkommen hinzugeben, das Leben der Romanfiguren zu teilen – das ist der erste Schritt. Empfinden wir unsere eigene Familie und deren Unglück im Vergleich als langweilig und abstoßend, ist dies ein Zeichen, daß wir. auf dem rechten Weg sind.
    Zu meiden sind literarische Romane, bei denen sich unser Augenmerk auf die Struktur richtet. Ich schäme mich nicht einzugestehen, daß ich so und nicht anders begonnen habe. Es mag seltsam klingen, aber ich habe ganz intuitiv zu Kriminalromanen gegriffen. Für Liebesromane konnte ich mich nie recht erwärmen. Aber das hat persönliche Gründe; ich gehöre nicht zu den Liebenden, nicht einmal im Traum. Und jeder sollte seinem Wesen entsprechend träumen. Vergessen wir nie, daß träumen ein Sich-Suchen ist. Ein sinnlicher Mensch allerdings sollte das Gegenteil dessen lesen, was ich gelesen habe.
    Stellt sich physisches Empfinden ein, hat der Träumer die erste Traumphase durchlebt. Mit anderen Worten, wenn ein Roman über Gefechte, Fluchten, Schlachten bewirkt, daß er sich tatsächlich körperlich zerschlagen fühlt und ihm die Beine müde werden … dann ist die erste Phase abgeschlossen. Ein sinnlicher Mensch hingegen sollte bei der Lektüre eines Romans im entsprechenden Augenblick einzig mittels geistiger Masturbation eine Ejakulation haben.
    Als nächstes sollte der Träumer versuchen, all dies auf eine geistige Ebene zu bringen. Die Ejakulation, wie im Falle des Sinnlichen (ich führe sie hier bewußt als besonders krasses und schlagendes Beispiel an), sollte gespürt werden, aber nicht geschehen . Dies wird den Träumer weit mehr ermüden, ihm aber zugleich ein in jeder Hinsicht intensiveres Lustempfinden bereiten.

    In der dritten Phase spielt sich jede Empfindung nur mehr im Geist ab. Ermüdung und Lust wachsen, der Körper aber empfindet bereits nichts mehr, anstelle der müden Glieder ermatten Verstand, Wille und Emotion … Ist dies erreicht, ist die Zeit für die letzte und höchste Traumphase gekommen.

    Die zweite Phase besteht darin, Romane zum eigenen Vergnügen zu ersinnen. Darum sollte man sich allerdings erst bemühen, wenn der Traum , wie ich bereits sagte, vollständig vergeistigt ist. Andernfalls wird man mit diesem Bemühen die vollständige Vergeistigung der Lust trüben.

    Dritte Phase
    Ist die Vorstellungskraft einmal geschult, genügt der Wille, und sie nimmt sich aller Träume an.
    Bereits in diesem Stadium stellt sich kaum mehr Ermüdung ein, auch nicht auf geistiger Ebene. Es kommt zu einer völligen Auflösung der Persönlichkeit. Wir sind nur mehr bloße Asche, ausgestattet mit einer Seele, doch mit keiner Form – nicht einmal mit der des Wassers, das die Form des Gefäßes annimmt, in dem es ist.
    Ist hierfür […] Sorge getragen, können in uns ganze Dramen, Vers um Vers, von allein entstehen. Vielleicht fehlt uns bereits die Kraft, sie niederzuschreiben … doch nicht einmal das wird nötig sein. Wir können aus zweiter Hand erschaffen, uns in uns einen Dichter beim Schreiben vorstellen, auf seine ihm eigene Weise, während ein anderer Dichter dies wiederum auf eine andere Weise tut … Da ich diese Fähigkeit aufs höchste vervollkommnet habe, kann ich auf zahllose verschiedene Weisen schreiben, und eine jede ist eigenständig.

    Die höchste Traumphase ist erreicht, wenn wir ein Bild mit zahlreichen Gestalten geschaffen haben, deren Leben wir alle zugleich leben, wenn wir all diese

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