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Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Zenith , Fernando Pessoa
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annahm – und ich war einfältig –, das Belächeln derer, die sich mit Träumen und deren literarischer Umsetzung beschäftigten, entspränge einem Gefühl der Überlegenheit. Es ist aber nur ein Widerhall auf etwas anderes. Während ich dieses Lächeln früher als Beleidigung empfand, da ich es für einen Ausdruck von Überlegenheit hielt, sehe ich in ihm heute eher einen unbewußten Zweifel; so wie Erwachsene Kindern oftmals eine Geistesschärfe zuerkennen, die der ihren überlegen ist, so erkennen sie uns, die wir träumen und unsere Träume in Worte fassen, ein gewisses Anderssein zu, das sie jedoch mißtrauisch stimmt, da es sie befremdet. Ich glaube fast, daß die Intelligenteren dieser Zunft unsere Überlegenheit bisweilen durchaus wahrnehmen, dies dann aber mit einem überlegenen Lächeln vertuschen.
    Unsere Überlegenheit besteht nicht in dem, was so viele Träumer für Überlegenheit schlechthin hielten. Der Träumer ist dem Tatmenschen nicht etwa überlegen, weil der Traum der Wirklichkeit überlegen wäre. Die Überlegenheit des Träumers besteht vielmehr darin, daß träumen praktischer ist als leben und er aus dem Leben einen viel umfassenderen und vielfältigeren Genuß zieht als der Tatmensch. Besser und genauer gesagt: der Träumer ist der eigentliche Tatmensch.
    Da das Leben im wesentlichen ein geistiger Zustand ist und alles, was wir tun oder denken, die Gültigkeit besitzt, die wir ihm zugestehen, hängt die Wertung von uns ab. Der Träumer ist ein Verteiler von Banknoten, und die Banknoten, die er verteilt, laufen in der Stadt seines Geistes auf die gleiche Weise um wie die Banknoten der Wirklichkeit. Was kümmert es mich, daß, wenn es kein Gold gibt in der künstlichen Alchimie des Lebens, das Papiergeld meiner Seele nicht in Gold konvertierbar ist? Nach uns allen kommt die Sintflut, aber erst nach uns allen. Wohl denen, die erkennen, daß alles Fiktion ist, und ihren Roman schreiben, bevor ihn ein anderer für sie schreibt, und wie Machiavelli Hofstaat anlegen, um insgeheim schreiben zu können.

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    (our childhood’s playing with cotton reels, etc.)
    Ich habe immer nur geträumt. Dies und nur dies ist der Sinn meines Lebens gewesen. Von wirklichem Belang war für mich nur mein inneres Leben. Meine größten Kümmernisse verflogen, wenn ich das Fenster auf die Straße meiner Träume öffnend mich selbst vergaß bei dem, was ich sah.
    Ich habe nie etwas anderes sein wollen als ein Träumer. Sprach man mir von leben, hörte ich nie zu. Ich fühlte mich immer dem zugehörig, was nicht ist, wo ich bin, und dem, was ich nie sein konnte. Alles, was nicht mein ist, so gering es auch sei, hatte immer etwas Poetisches für mich. Nie habe ich etwas anderes geliebt als nichts. Nie habe ich mir etwas anderes gewünscht als das Unvorstellbare. Vom Leben habe ich nur erbeten, an mir vorüberzugehen, ohne daß ich es spüre. Von der Liebe habe ich nur verlangt, nie aufzuhören, ein ferner Traum zu sein. In meinen inneren Landschaften, allesamt unwirklich, zog mich immer die Ferne an, und die Aquädukte, schemenhaft am fernen Horizont meiner erträumten Landschaften, waren, verglichen mit der übrigen Landschaft, von traumhafter Zartheit, einer Zartheit, dank derer ich sie lieben konnte.
    Meine Manie, mir eine falsche Welt zu erschaffen, begleitet mich noch immer und wird mich erst verlassen, wenn ich sterbe. Heute reihe ich in meine Schubladen weder Zwirnrollen noch Schachfiguren – unter denen vielleicht der ein oder andere Läufer oder Springer hervorragt –, und ich bedauere, daß ich es nicht tue …, statt dessen aber reihe ich in meiner Phantasie, wohlig wie einer, der sich im Winter am Herdfeuer wärmt, jene verläßlichen, lebendigen Gestalten, die mein Innenleben bevölkern. Ich habe eine Welt von Freunden in mir, mit eigenen, wirklichen, vorbestimmten und noch offenen Lebensläufen.
    Einige kämpfen mit Schwierigkeiten, andere führen ein bescheidenes, buntes Bohemeleben. Wieder andere sind Handelsreisende (ich, ein Handelsreisender in meiner Phantasie – stets einer meiner ehrgeizigsten Wünsche, leider nicht zu verwirklichen!), oder aber sie leben in Dörfern und Marktflecken eines ländlichen Portugals in mir, kommen in die Stadt, wo ich ihnen zufällig begegne, sie wiedererkenne und gerührt in die Arme schließe … Und wenn ich dies, in meinem Zimmer auf und ab gehend, laut redend und gestikulierend, träume … wenn ich dies träume und mir ausmale, wie ich ihnen begegne,

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