Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
daß er meinem Bild vielleicht nicht entspricht und vielleicht nie und nimmer der Vater meiner Seele ist …
Wann wird all dies ein Ende haben? Die Straßen, durch die ich mein Elend schleppe, die Stufen, auf die ich mein Frösteln kauere und die Hände der Nacht zwischen meinen Lumpen spüre? Wenn Gott mich eines Tages holte und zu sich nähme, wenn er mir Wärme und Zuneigung schenkte … Manchmal denke ich das und weine allein bei dem Gedanken vor Freude, daß ich es denken kann … Doch der Wind weht durch die Straße, und die Blätter fallen auf den Gehsteig … Ich schaue auf und sehe die Sterne, die keinen Sinn haben … Und von alldem bleibe nur ich, ein armes, ausgesetztes Kind, das keine Liebe an Kindes Statt annehmen und keine Freundschaft zum Spielgefährten haben wollte.
Mir ist bitterkalt. Ich bin so müde in meiner Verlassenheit. O Wind, bring mir meine Mutter. Trag mich durch die Nacht zu der Heimstatt, die ich nie kannte … O große Stille, gib mir meine Amme zurück, meine Wiege, mein Schlaflied …
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Die einzige eines höheren Menschen würdige Einstellung ist das beharrliche Festhalten an einer Tätigkeit, die er als nutzlos erkennt, das Unterwerfen unter eine Disziplin, von der er weiß, daß sie fruchtlos ist, und das rigorose Anwenden philosophischer und metaphysischer Denknormen, deren Bedeutungslosigkeit er erkannt hat.
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14 . 5 . 1930
Die Realität als eine Form der Illusion erkennen und die Illusion als eine Form der Realität ist so notwendig wie nutzlos. Das kontemplative Leben muß, um überhaupt existieren zu können, die objektiven Akzidenzien als weitverstreute Prämissen für eine Folgerung betrachten, die es nicht ziehen kann; doch muß es zugleich die nicht notwendig wahre Beschaffenheit des Traumes in gewisser Weise der Aufmerksamkeit als wert erachten, die wir ihm widmen und die genau uns zu kontemplativen Menschen macht.
Jedes Ding ist, je nachdem, wie man es betrachtet, ein Wunder oder ein Hemmnis, ein Alles oder ein Nichts, ein Weg oder ein Problem. Es immer wieder anders betrachten heißt, es erneuern und vervielfältigen. Daher hat ein kontemplativer Mensch, ohne sein Dorf je zu verlassen, gleichwohl das ganze Universum zu seiner Verfügung. Das Unendliche findet sich in einer Zelle wie in einer Wüste. Auf einem Stein kann man kosmisch schlafen.
Es gibt jedoch Augenblicke des Nachdenkens – und jeder, der nachdenkt, kennt sie –, in denen einem alles verbraucht, alles alt und alles wie ein Déjà-vu erscheint, obgleich man es noch nie gesehen hat. Denn sosehr wir auch über etwas nachdenken und es durch unser Nachdenken verändern, es wird doch immer Gegenstand unseres Nachdenkens bleiben. Irgendwann überkommt uns die Sehnsucht nach dem Leben, wir möchten erkennen ohne die Erkenntnis, nachdenken nur mit den Sinnen oder tastend und fühlend denken, aus dem Gegenstand unseres Denkens heraus, als wären wir Wasser und er ein Schwamm. Dann wird auch für uns Nacht, und die große emotionale Müdigkeit verstärkt sich noch, da sie vom Denken kommt. Doch ist die Nacht ohne Ruhe, ohne Mond und ohne Sterne eine Nacht, als wäre alles umgekrempelt – das Unendliche nach innen genommen und eingeschränkt und der Tag zum schwarzen Futter eines nie gesehenen Anzugs.
Ja, es ist besser, immer besser, die menschliche Schnecke zu sein, die liebt, was sie nicht kennt, der Blutegel, der nicht weiß, wie abstoßend er ist. Die Unwissenheit als Leben haben, das Fühlen als Vergessen! Wie viele Geschichten sind nicht verlorengegangen im grünweißen Kielwasser der Karavellen, kalter Speichel des hohen Steuerruders, Nase unter den Augen der alten Kajüten!
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15 . 5 . 1930
Ein kurzer Blick aufs freie Feld über eine Mauer am Stadtrand ist für mich befreiender als für einen anderen eine lange Reise. Jeder Blickpunkt ist die Spitze einer umgekehrten Pyramide mit unbestimmbarer Grundfläche.
Es gab eine Zeit, in der mich Dinge ärgerten, über die ich heute lächle. Dazu gehörte, und ich erlebe sie weiterhin täglich, die Beharrlichkeit, mit der im Alltag verwurzelte Tatmenschen Dichter und Künstler belächeln. Anders als unsere Zeitungsphilosophen glauben, tun sie dies nicht immer aus einem Gefühl der Überlegenheit heraus, sondern oftmals recht wohlmeinend. Doch stets so, als meinten sie es gut mit einem Kind, jemandem, der den Anforderungen des praktischen Lebens fremd gegenübersteht.
Dies ärgerte mich früher, da ich wie die Einfältigen
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