Das Buch der Vampire 01 - Bleicher Morgen
Mylady. Wenn Ihre Tante Ihnen nicht helfen kann, dann werde ich es tun.«
Victoria nickte. Sie fühlte sich ein wenig erleichtert, aber gleichzeitig auch so, als würde sie immer noch tiefer in einem Sumpf aus Lügen und Täuschungen versinken.
Vielleicht könnte Eustacia ja mit ein paar weisen Worten aufwarten.
Zu Victorias großer Erleichterung war der allgegenwärtige Max nicht anwesend, als sie ihrer Tante am späten Vormittag einen Besuch abstattete. Kritanu servierte ihnen ein leichtes Mittagessen, dann zog er sich diskret zurück, als klar wurde, dass Victoria nicht gekommen war, um ihr kalaripayattu zu üben.
»Wie geht es deinem Arm?«, erkundigte sich Eustacia.
Offensichtlich war Max bereits bei ihr gewesen.
»Gut.«
»Er wird schnell heilen; Max’ Salbe wirkt Wunder, außerdem schützt dich deine vis bulla .«
Victoria aß ein Stück Käse und überlegte, wie sie ihrer Tante beibringen sollte, dass sie glaubte, nicht weitermachen zu können. Dass sie ihren Status als Venator ändern musste.
»Tante Eustacia, ich brauche deinen Rat. Ich weiß nicht, was ich tun soll.«
»Es ist alles viel schwieriger, als du gedacht hattest, nicht wahr, cara? «
»Phillip möchte einen Erben, und ich kann ihm nicht jeden Abend salvi einflößen.«
Ihre Tante, deren Haar so schwarz schimmerte wie die Nacht, nickte. »Du bist in einer sehr schwierigen Situation, Victoria. Was das Kind anbelangt... nun, dagegen gibt es Mittel und Wege. Es überrascht mich, dass du nicht schon früher danach gefragt hast.«
Victoria gab keine Antwort. Ihre Tante hatte Recht, dass sie sich darüber längst hätte Gedanken machen müssen.
»Ich werde dir ein Tonikum mitgeben. Wenn du es regelmä ßig einnimmst, wird es verhindern, dass du ein Kind bekommst. Victoria …«
Eustacia betonte ihren Namen so, dass Victoria den Kopf hob und sie ansah.
»Lilith hat nicht vergessen, dass du und Max das Buch des Antwartha geraubt habt. Ich weiß, dass es sicher in St. Heath’s Row versteckt ist, aber Lilith wird nicht ruhen, bis sie das Buch in ihren Besitz gebracht hat. Es mag den Anschein haben, dass die Übergriffe seitens der Untoten in den letzten zwei Monaten zurückgegangen sind. Es mag den Anschein haben, dass du nicht mehr gebraucht wirst, dass Max sich um drohende Gefahren allein kümmern kann. Aber du darfst dich davon nicht täuschen lassen. Du bist ein Venator und für alle Zeit als solcher gekennzeichnet. Vergiss niemals, dass du Lilith eine schwere Niederlage beigebracht hast - denn auch sie wird das niemals vergessen. Und sie wird nicht aufgeben, bis sie ihre Rache bekommen hat.«
Abendkleider waren nicht gerade dazu angetan, eine Armwunde zu verbergen, deshalb stand Victoria an diesem Abend vor einem ziemlichen Dilemma. Verbena half ihr, die längsten Handschuhe überzuziehen, die sie besaß - melonenfarbene, die ihr bis über die Ellbogen reichten -, aber dank der zarten Puffärmel, die kaum die Wölbung ihrer Schultern bedeckten, blieb noch immer ein gutes Stück nackter Haut sichtbar.
»Sie werden Ihren Schal die ganze Zeit über um Ihre Arme behalten müssen«, meinte Verbena. Sie hatten den Verband abgenommen, und genau wie Eustacia vorhergesagt hatte, war der Schnitt schon ein wenig verheilt und klaffte kaum mehr. Trotzdem war die lange, rote Wunde noch immer so auffällig, dass Victoria ihren Schal zweimal um ihren Oberarm schlang und das verbliebene Ende locker über ihren Nacken und den rechten
Arm drapierte. »Unter gar keinen Umständen dürfen Sie diese Stola ablegen!«
Phillip hatte ihr eine Nachricht geschickt, dass er den Abend in seinem Club verbringen und nicht an dem Hausball teilnehmen würde, zu dem Victoria erwartet wurde. Sie dachte kurz daran abzusagen, entschied jedoch, dass es besser wäre, sich ihrer Mutter zuliebe für ein paar Stunden dort blicken zu lassen, um dann noch vor Mitternacht heimzukehren.
Entsprechend überrascht war sie, Max zu sehen, der durch den Ballsaal auf sie zukam, als sie nach einem Kontratanz gerade die Tanzfläche verließ.
Victoria entschuldigte sich bei ihrem Partner, dem jüngsten Sohn eines Grafen, und eilte ihm entgegen. »Ich weiß, dass Sie nicht hier sind, um an den Vergnügungen der Oberschicht teilzuhaben«, sagte sie anstelle einer Begrüßung.
»Liliths Gefolgsleute sind auf dem Vormarsch. Heute Nacht soll ein weiterer Gruppenangriff stattfinden.« Sein Blick schweifte durch den Saal. »Ich möchte Ihnen nicht den Abend ruinieren, aber es würde
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