Das Buch der Vampire 01 - Bleicher Morgen
ein Taschentuch hervor und betupfte den Spitzenbesatz seines Ärmels. »Wenn sie bei der Arbeit nicht so verdammt gut wäre, würde ich sie auf die Straße setzen.«
Gut bei der Arbeit?
Sie auf die Straße setzen?
Victoria war sich nicht sicher, welche Aussage sie mehr überraschte,
aber sie beschloss, sich auf die zweite zu konzentrieren. »Gehört Ihnen dieses Lokal?«
»Das tut es in der Tat, wenngleich ich nicht immer stolz darauf bin, das zuzugeben. Zusammen mit anderen Etablissements, sollte ich vielleicht hinzufügen. Sebastian Vioget... Sir. Zu Ihren Diensten.« Während er ihr die Hand entgegenstreckte, musterte er sie mit solcher Aufmerksamkeit, dass Victoria beinahe vergaß, ihm ihre zu reichen.
»Victor Grand... son. Victor Grandson«, wiederholte sie etwas flüssiger. Seine Finger schlossen sich um ihre und hielten sie länger fest, als sie für nötig befand. Oder vielleicht lag es auch nur an ihrer Sorge, dass ihre schlanke Hand sich - selbst von einem schwarzen Handschuh verhüllt - wesentlich zerbrechlicher anfühlen musste als die meisten Hände, die er in seinem Leben geschüttelt hatte.
»Und nach welcher Art von Information könnten Sie hier wohl suchen?« Die Intensität seines Blicks ließ nicht nach, und Victoria hatte das Gefühl, als sähe er tief in ihre Gedanken. Das Einzige, was sie davon abhielt, Furcht zu empfinden, war die Tatsache, dass er kein Vampir war.
Er war ganz sicher kein Vampir, daher konnte sie sich die seltsame Faszination, die er auf sie ausübte, nicht erklären. Es war dem Gefühl nicht unähnlich, das sie empfunden hatte, kurz bevor der Wächtervampir seine Fangzähne in ihren Hals geschlagen hatte.
Victoria widerstand dem Bedürfnis, den Kopf zu schütteln, dafür rutschte sie unter dem Vorwand, nach ihrem Bierkrug zu greifen, ein Stück von Sebastian Vioget weg. Sollte sie einfach die Wahrheit sagen und ihm verraten, wonach sie suchte?
Warum nicht? Unerschrockenheit in Wort und Tat war das, was einen erfolgreichen Venator ausmachte. Auch wenn es vielleicht Zeiten gab, in denen man sich zurücknehmen und zuerst einmal planen musste. »Ich suche nach dem Buch des Antwartha.«
Offenbar war Unerschrockenheit die richtige Taktik. »Und warum sollten Sie annehmen, derartige Informationen ausgerechnet hier zu finden? Ein altes Buch würde man bei Hatchard’s oder Mason’s aufstöbern. Sie haben sich an den falschen Ort begeben.« Er beugte sich so nah zu ihr, dass sie die dunklen Tupfen in seinen goldenen Augen sehen konnte, so nah, dass sie irgendeine heftige Energie in der Luft zwischen ihnen wahrnahm.
»Ich habe nicht erwähnt, dass es ein altes Buch ist«, entgegnete Victoria, »aber es liegt auf der Hand, dass ich mich, entgegen Ihrer Behauptung, durchaus an den richtigen Ort begeben habe.«
Er stieß ein Lachen aus, das wie ein leises, schuldbewusstes Knurren klang. »Sie haben natürlich Recht. Tatsächlich bin ich vielleicht sogar in der Lage, Ihnen bei Ihrer Suche zu helfen, aber darf ich Ihnen zuerst einen Rat geben?«
Argwöhnisch, weil das belustigte Funkeln in seinen Augen nun ihr zu gelten schien, nickte sie.
»Indem Sie schlecht sitzende Hosen und einen Hut tragen, verbergen sie keinesfalls Ihr Geschlecht, sondern erregen damit nur Aufmerksamkeit. Sie konnten hier niemanden täuschen.«
Kapitel 8
In welchem ein unerwarteter Besucher Miss Grantworth einen Strich durch die Rechnung macht
V ielleicht hatte ich gar nicht die Absicht, irgendjemanden zu täuschen«, erwiderte Victoria. »Vielleicht bin ich einfach nur zu dem Schluss gekommen, dass Hosen praktischer sind als Röcke.«
Er lachte wieder, und sein Bein rieb unter dem Tisch gegen ihres. Es war warm und schwer, und Victoria rutschte weg. Er sah sie mit wissendem Lächeln an, sagte zum Glück jedoch nichts.
»Nachdem wir die Wahl meiner Bekleidung jetzt ausreichend erörtert haben«, fuhr Victoria mit mehr Selbstvertrauen fort, nun, da sie die ungewohnte Rolle eines Gentleman nicht länger aufrechterhalten musste, »werden Sie mir vielleicht verraten, wer mir helfen kann, das Buch des Antwartha zu finden?«
»Wenn Sie so freundlich wären, Ihre Stimme etwas... zu dämpfen, kann ich Ihnen vielleicht zu Diensten sein. Oder vielleicht ist es ohnehin besser, wenn wir uns an einen Ort zurückziehen, wo wir ungezwungener sprechen können.«
Der Gedanke, diesem Mann irgendwohin zu folgen, machte Victoria nervös - auf eine warme, unanständige Weise. Vielleicht lag es nur daran, wie
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