Das Buch der Vampire 01 - Bleicher Morgen
Phillip sie heute geküsst hatte, dass sie unentwegt auf Sebastians Mund starrte, auf seine Form und wie er sich bewegte. Und wie nah er ihrem war.
In diesem Moment kam jemand um die Ecke derselben Treppe gebogen, die sie und Verbena hinabgestiegen waren, und blieb dann ein kurzes Stück von ihrem Tisch entfernt stehen. Obwohl er nicht in ihre Richtung sah, erkannte sie, vielleicht weil sie halb damit gerechnet hatte, ihn hier zu treffen, die große, dunkle Gestalt.
Max.
Victoria drehte sich rasch zur Seite, um ihr Gesicht zu verbergen. »Haben Sie einen bestimmten Ort im Sinn?«
»Entschuldigen Sie mich einen Moment«, sagte er und stand abrupt auf. »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, möchte ich Sie bitten, dort hindurchzugehen, ich werde Ihnen in Kürze folgen.« Er deutete auf eine schmale Tür, die sie zuvor nicht bemerkt hatte; sie lag verborgen in der Ecke eines Alkovens, wo sie dem flüchtigen Betrachter nicht auffiel. »Sie ist nicht verschlossen.«
Victoria beobachtete, wie Sebastian sich leichtfüßig und flink, aber ohne den Eindruck von Eile zu erwecken, auf Max zubewegte. Ein unbehagliches Gefühl breitete sich in ihrem Magen aus, aber sie stand wie befohlen auf und hoffte, hinausschlüpfen zu können, bevor Max sie entdeckte. Falls Sebastian Recht hatte und ihre Verkleidung wirklich so schlecht war, dass jeder sie durchschaute, würde es all ihre Pläne zunichte machen, wenn Max auch nur in ihre Richtung sähe.
Jemand zupfte sie am Ärmel, als sie aufstand, und Victoria schoss herum. Sie hatte Verbena vollkommen vergessen! Wie hatte das Mädchen, das doch direkt neben ihr saß, so leicht ihrer Erinnerung entschlüpfen können?
Victoria verstand, warum, als sie sah, dass ihre Zofe, während sie selbst sich mit Sebastian unterhalten hatte, mitsamt ihrem
Stuhl näher an einen anderen Tisch herangerutscht war, wo sie nun recht freundschaftlich mit drei anderen Leuten, darunter auch die Vampir-Pianistin, zusammensaß.
»Ist das nicht Ihr Vetter Max, der da drüben mit Mr. Vioget spricht?«, fragte Verbena. Ihr Atem roch nach Bier, und das Funkeln in ihren Augen verriet, wie sehr sie den Abend genoss.
»Ja, das stimmt, obwohl er nicht wirklich mein Vetter ist. Ich muss gehen, bevor er mich erkennt. Sag deinen Freunden Lebewohl, und komm mit.« Victoria nahm ihren Spazierstock-Pflock zur Hand und marschierte hastig durch die Tür, die Sebastian ihr gezeigt hatte. Verbena folgte hinterdrein.
Victoria hatte schon die Hand an der Tür, um sie hinter sich zuzuziehen, als sie innehielt und sich noch einmal umdrehte. Sebastian und Max standen ins Gespräch vertieft noch immer an derselben Stelle, an der Letzterer verharrt war, seit er den Schankraum betreten hatte.
Ihr Wortwechsel bestand aus kurzen, abgehackten Sätzen, die ohne große Mimik oder Gestik ausgetauscht wurden. Keiner der beiden Männer, von denen Max der größere war, schien wirklich auf Konfrontationskurs zu gehen, gleichzeitig wirkten sie einander auch nicht allzu freundschaftlich gesonnen.
Als sie sich schließlich mit einem kurzen Nicken und ohne Handschlag voneinander trennten, glitt Victoria zurück hinter die Tür. Nachdem sie sie geschlossen hatte, drehte sie sich um, um zu sehen, wohin Sebastian sie geschickt hatte.
Verbena lehnte an einer grauen Mauer, ihren Bierkrug noch immer in der Hand. Oder war es Victorias Krug? Er war so voll, als wäre noch nicht aus ihm getrunken worden.
Sie standen in einem Gang mit einer gewölbten Steindecke
und Wandleuchtern, die in einem Abstand von etwa fünfzehn Schritten an den Mauern befestigt waren. Noch bevor Victoria die Gelegenheit bekam, sich genauer umzusehen, ging erneut die Tür auf, und Sebastian trat in den Flur.
»Ihre Freundin kann draußen warten«, sagte er mit einem Blick zu Verbena. »Sie wird bei Amelie und Claude gut aufgehoben sein.«
Victoria hätte abgelehnt, aber Verbena steuerte bereits auf die Tür zu. »Ich würde das vorziehen, S-Sir«, antwortete sie schnell. »Amelie ist die Klavierspielerin, und sie hat heute schon getrunken, deshalb habe ich keine Angst vor ihr.«
»Es wird ihr nichts passieren, solange sie mit Amelie zusammen ist. Und was ich Ihnen zu sagen habe, ist nur für die Ohren eines Venators bestimmt.«
Victoria erschrak, fand ihre Fassung dann aber schnell wieder. Hatte Max sie am Ende doch gesehen und ihm gesagt, wer sie war?
»Ich werde so sicher sein wie in Abrahams Schoß«, erklärte Verbena mit einem breiten Lächeln, und wider besseres
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