Das Buch der Vampire 01 - Bleicher Morgen
wahrnahm. Sich davor hütend, ihr direkt in die glimmenden Augen zu blicken, wappnete Victoria sich für einen möglichen Überraschungsangriff. Die anderen Vampire gruppierten sich hinter ihr zu einem V.
»Wir haben Ihrer Mutter heute Abend eine Eskorte für die Heimfahrt zur Verfügung gestellt«, sagte die Anführerin in ähnlich gelassenem Tonfall wie Victoria. »Es geht ihr gut; wir haben unserem Verlangen, von ihr zu kosten, bis jetzt widerstanden, Venator, da wir wussten, dass Sie, falls Sie erfolgreich sein und das Buch des Antwartha an sich bringen würden, einen überzeugenden Grund bräuchten, es uns zu übergeben.«
Sie nickte mit dem Kinn zu der Kutsche, und die Tür wurde geöffnet. Lady Melly stolperte von Kopf bis Fuß außer Façon geraten heraus. Aber sie war unverletzt, wenn man von den blauen Flecken absah, die sie sich vermutlich durch die unsanfte Landung an Knie und Ellbogen zugezogen hatte.
»Ich kann euch das Buch nicht überlassen«, erwiderte Victoria
schlicht. »Aber ich kann euch euer Leben lassen. Falls ihr es vorzieht, es zu behalten, anstatt dasselbe Schicksal zu erleiden wie... oh, ungefähr ein Dutzend eurer Spießgesellen, dann trollt euch einfach in die Nacht und sucht euch einen anderen müden Venator, den ihr belästigen könnt.« Als ob es irgendwelche anderen Venatoren in London gäbe, ob nun müde oder nicht.
Im Hintergrund hörte sie Big Ben vier Uhr schlagen. In etwa einer Stunde würde langsam schon die Sonne aufgehen.
Würde Victoria sie lange genug hinhalten können?
In diesem Augenblick kam in ungewöhnlich schnellem Tempo eine Droschke um die Ecke gerumpelt. Victoria erkannte den Kutscher. Was machte Barth hier?
Aber noch bevor sie die Frage zu Ende gedacht hatte, jagte die Droschke ohne anzuhalten schon an ihr vorbei, und ein Schwall Wasser ergoss sich aus dem Fenster über die vier Vampire.
Plötzlich fingen sie an zu brüllen und mit den Händen auf die Stellen zu schlagen, wo das Wasser sie berührt hatte. Noch ehe Victoria richtig begriffen hatte, dass irgendjemand - vielleicht Verbena - einen Kübel Weihwasser auf sie geschüttet hatte, setzte sie sich schon mit ihrem Pflock in Bewegung.
Kaum dass sie zwei der Untoten erstochen hatte, wendete die Droschke bereits und kam zurück. Eine weitere Ladung Wasser durchtränkte den Vampir auf dem Kutschbock, und ein kleinerer Schwall traf die beiden letzten auf der Straße.
Sie durchlitten Höllenqualen; es war leicht - fast zu leicht -, sie unschädlich zu machen, aber Victoria hatte nicht mehr die Kraft, Dankbarkeit zu empfinden für das mühelose, befriedigende Ende einer arbeitsamen Nacht.
Barths Droschke hielt schließlich neben ihr auf der Straße an. Den einen Arm um ihre ausdruckslos dreinblickende, ungewöhnlich stille Mutter gelegt und den anderen um das kostbare Bündel, in dem sich das uralte Buch befand, kämpfte Victoria sich die Stufen zu Grantworth House hoch.
Eine verängstigte Lady Melly war nur einer der zahllosen Belange, um die Victoria sich am Morgen würde kümmern müssen, ganz zu schweigen von der Frage, was sie nun, da sie das Buch des Antwartha hatte, damit tun sollte - und der Tatsache, dass ihre Verlobung heute Abend während eines Balls verkündet werden sollte.
Aber für den Moment ersehnte sie nichts weiter als die Behaglichkeit ihres Federbetts und einen sicheren Ort, an dem sie das Buch verstecken konnte.
Und die Gewissheit, dass Max die Nacht überlebt hatte.
Wie sich herausstellte, war das Problem Lady Melly viel leichter zu lösen, als Victoria erwartet hatte. Verbena, die tatsächlich das Weihwasser auf die Vampire gegossen hatte, bereitete und verabreichte ihr einen Schlaftrunk, der sie wie einen Stein umfallen ließ.
Als Victoria am Morgen erwachte, war Eustacia bereits in Grantworth House eingetroffen. Sie war von Max geschickt worden, der tatsächlich seinen dritten Kampf gegen einen Imperialvampir in einer einzigen Nacht überlebt hatte und nur wenige Minuten nachdem Victoria ihre Mutter ins Bett verfrachten konnte, wohlbehalten in Grantworth House eingetroffen war. Er war natürlich gekommen, um sich selbst zu vergewissern, und nachdem ihn die mit einem Mal überaus gewichtige
Verbena darüber informiert hatte, dass ihre Herrin unbeschadet und dazu noch im Besitz von Liliths Objekt der Begierde heimgekehrt war, hatte sich Max wieder hinaus in die Nacht gestohlen, vermutlich, um gleichfalls sein Bett aufzusuchen.
Tante Eustacia hatte ihre eigenen Methoden, mit
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