Das Buch der Vampire 01 - Bleicher Morgen
über den Boden schleifen, wenn sie die Arme gesenkt hielt, aber jetzt, wo sie sie vor Entzücken in die Luft reckte, taten die fließenden Stoffbahnen nichts weiter, als erst Eustacia und dann Max zu umhüllen, während Wayren sie nacheinander umarmte. »Es ist euch gelungen, das Buch zurückzuholen. Und noch dazu so schnell!«
»Ja, das verdanken wir einem glücklichen Zufall«, entgegnete Max, als sie zurücktrat.
»Und Ihr Biss?« Wayren bedachte ihn mit demselben taxierenden Blick wie zuvor Eustacia.
»Er ist empfindlich«, gestand er.
Wieder ging die Tür auf, und Kritanu führte den nächsten Gast herein - Victoria, natürlich. Max warf ihr einen Blick zu, dann sagte er: »Ah, da ist sie ja. Aber... so allein? Sie haben Ihre bessere Hälfte nicht mitgebracht, Victoria?«
»Oh, nein, Phillip lässt sich entschuldigen. Er denkt gerade darüber nach, wie er sein Halstuch für die Hochzeit binden soll«, antwortete sie honigsüß.
Max biss sich auf die Lippe, um seine freudige Überraschung über ihre prompte Erwiderung zu verbergen. Sie war schlagfertig, das musste er ihr lassen.
Nachdem er sich auf seinen Lieblingssessel neben der Aufsatzkommode, in der Kritanu den Brandy aufbewahrte, hatte sinken lassen, sah er mit unschuldiger Miene zu Eustacia, die ihn wegen
seiner sarkastischen Bemerkung mit einem nicht gerade freundlichen Blick bedachte.
»Ihre bessere Hälfte?«, wandte Wayren sich an Victoria, während sie neben Max Platz nahm.
»Max bezieht sich auf meinen zukünftigen Ehemann, den Marquis von Rockley. Er - Max - scheint der Ansicht zu sein, dass ich meine Verpflichtungen dem Gardella-Vermächtnis gegenüber vergessen werde, weil ich meinem Verlobten das Eheversprechen gegeben habe.«
Victoria, die auf eine Weise frisiert war, wie Max es noch nie gesehen hatte, drückte erst ihrer Tante, dann Kritanu einen Kuss auf die Wange, bevor sie einen Stuhl direkt gegenüber von Max wählte. Das Haar fiel ihr, anstatt an ihrem Hinterkopf hochgesteckt zu sein, mit jeder einzelnen schwarzen Locke an ihrem Platz und durchwoben von Bändern und Edelsteinen, in einem schlichten, langen Zopf über den Rücken. Sie musste ihn zur Seite nehmen, sonst hätte sie sich draufgesetzt.
Max bemerkte, dass sie eine Ledertasche bei sich trug, die sie, nachdem sie Platz genommen hatte, auf ihren Schoß zog.
»Ist das das Buch?«, fragte er, begierig darauf, ihr Gespräch auf wichtigere Dinge als die bevorstehende Heirat zu lenken.
»Ja.« Victoria zog den Band heraus und behielt ihn noch für einen Moment in den Händen, bevor sie ihn an Eustacia weiterreichte. »Was werden wir jetzt damit anfangen? Steht irgendetwas darin, das uns helfen könnte?«
Wayren fixierte das Buch mit derselben Begierde, die Max’ alter Hund an den Tag legte, wenn er darauf hoffte, dass ein Knochen oder ein Fleischrest vom Tisch fallen würde. Sie klang beinahe atemlos, als sie nun das Wort ergriff. »Ich werde es studieren
müssen, um sicherzugehen.Trotzdem würde ich die Vermutung wagen, dass wenig darin zu finden sein wird, was das Leben im Licht unterstützt. Es ist das Buch von Kalis dämonischem Sohn und birgt daher ausschließlich Anleitungen für die Förderung des Bösen. Dennoch wird es uns helfen, zu verstehen, welche Bedeutung es für Lilith hat, um ihren nächsten Schritt zu erahnen.«
»Das stimmt«, gab Eustacia ihr Recht. »Es nur in unserem Besitz zu haben ist bereits ein ungeheurer Vorteil. Und ich habe lange und gründlich darüber nachgedacht, wo wir es verstecken könnten, bis wir entschieden haben, was wir damit tun werden.«
»Wirst du es nicht hierbehalten, Tante Eustacia?« In Victorias Gesicht spiegelte sich Überraschung wider.
Max versuchte gar nicht erst, ein angewidertes Schnauben zu unterdrücken. »Eustacias Haus oder auch meines wären die ersten Orte, an denen Lilith danach suchen würde. Oder Ihres.« Er wurde nicht enttäuscht: Ein Ausdruck des Begreifens huschte über Victorias Züge. Ah, vielleicht erfasste sie die Ernsthaftigkeit der Situation ja doch. Die Tatsache, dass das Spiel noch nicht vorüber war - und auch erst vorüber sein würde, wenn Lilith vernichtet wäre. »Sie weiß, wer ihren Plan vereitelt hat, und ich möchte mir ihre Wut auf uns noch nicht einmal vorstellen.« In Wirklichkeit konnte er die Vorstellung gar nicht vermeiden. Er hatte Lilith genauer vor Augen, als ihm behagte.
»Wo auch immer ihr es versteckt, es darf, besonders während des Transports, keiner direkten
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