Das Buch der Vampire 01 - Bleicher Morgen
gerade dabei, zwei kleine Gläser mit einer blassrosafarbenen Flüssigkeit zu füllen, doch nun sah er auf. Das Sofa, auf dem sie beim letzten Mal gesessen waren und wo er ihre vis bulla berührt hatte, trennte sie voneinander wie die niedrige Steinmauer, mit der sie auf Prewitt Shore die Schafe im Zaum hielten. Victoria war sich nicht ganz sicher, wer von ihnen beiden hier das eingezäunte Lamm war.
»Ich wollte herausfinden, ob Sie sich an unser Abkommen gehalten haben.« Sebastian machte einen Schritt auf sie zu. Victoria wich so aus, dass das Sofa zwischen ihnen blieb, bevor sie die Hand ausstreckte, um das Glas in Empfang zu nehmen, das er ihr anbot. Sie achtete sorgsam darauf, dass ihre Finger sich nicht berührten. »Wenn er davon gewusst hätte, dann nur, weil Sie es ihm verraten hatten.«
»Ich habe mich an unser Abkommen gehalten, aber er hätte ohne dieses Wissen sterben können.«
»Aber das tat er nicht, weil er es nämlich nicht berührt hat. Er wusste Bescheid.«
»Ich habe es ihm nur gesagt, um sein Leben zu retten. Aber er hat mir nicht geglaubt.«
»Sein Leben ist derart wertvoll für Sie?«
»Jedes Leben ist wertvoll für mich. Was ist das?« Sie musterte das Glas. Am Boden des winzigen, tulpenförmigen Gefäßes schimmerte die Flüssigkeit rubinrot, doch sobald sich das Glas weiter oben weitete, wurde daraus ein blasses Rosa.
»Nur ein kleiner Schluck Sherry. Probieren Sie; ich denke, dass er ganz nach Ihrem Geschmack sein wird.« Er erhob sein Glas zu einem spöttischen Toast, dann leerte er es mit einem Zug.Als er sie anschließend wieder ansah, nickte er zu dem Sofa. »Setzen Sie sich, Victoria.«
»Nein, danke.« Sie stellte das Glas ab und entfernte sich noch ein Stück. Nun stand sie hinter dem Sofa und er davor.
»Haben Sie Angst vor mir, Victoria?«
»Warum sollte ich Angst haben? Ich bin ein Venator.«
»In der Tat. Ich habe mir dieselbe Frage gestellt. Am Ende bin vielleicht sogar ich derjenige, der sich vor Ihnen in Acht nehmen
sollte.« Er sah sie einen Moment lang nachdenklich an. »Vielleicht sollte ich das wirklich.« Er kehrte ihr den Rücken zu und ging zu dem Tisch zurück, um sich noch ein Glas Sherry einzuschenken.
Als er sich wieder umdrehte, war sein Gesicht verschlossen. Er prostete ihr noch einmal spöttisch zu, aber anstatt das Glas in einem Zug zu leeren, nippte er nur daran, dann setzte er sich auf das Sofa. Er positionierte sich so in einer Ecke, dass er Victoria sehen konnte, die mit einer Hand auf dem Chintz-Bezug hinter der schützenden Sofalehne stand.
»Warum sind Sie heute Nacht hergekommen?«
»Sie hatten mich bereits erwartet. Das überraschte mich ein wenig.«
»Ich sagte Ihnen schon beim letzten Mal, als Sie hier waren, dass ich Sie wiedersehen würde. Ich wusste, dass Sie zurückkehren werden. Aber ich bin neugierig, den Grund dafür zu erfahren.«
»Vielleicht um Ihnen für die Information zu danken, die uns dabei geholfen hat, das Buch des Antwartha zu bekommen. Wenn ich diese Information nicht gehabt hätte, wären Max und ich bei unserer Unternehmung vielleicht gestorben.«
»Also sind Sie gekommen, um Ihre Dankbarkeit zum Ausdruck zu bringen.« Er kniete sich auf das Polster, legte die Finger auf ihre Hand und hielt sie sanft an ihrem Platz auf der Sofalehne fest. »Es freut mich, das zu hören. Und ich bin entzückt, dass Eustacia Sie mit dieser Aufgabe betraut hat und nicht Max.«
Victoria verspürte den Drang, die Hand wegzuziehen, widerstand ihm jedoch. »Ich habe den Eindruck, dass Sie und Max nicht die besten Freunde sind.«
»Ich frage mich, wie das nur kommt«, murmelte Sebastian, doch er klang, als könnte ihn nichts weniger interessieren. »Tatsächlich reizt es mich aber viel mehr zu erfahren, wie Sie mir für meine Unterstützung danken wollten, als herauszufinden, welcher Stachel Max im Fleisch sitzt.« Er griff mit seiner freien Hand nach oben und begann, ihr den langen Handschuh vom Ellbogen zu streifen. »Erwähnte ich schon, wie viel besser Sie aussehen, wenn Sie sich als Frau kleiden statt als Mann?«
Er gab das Handgelenk frei, das er auf der Sofalehne festgehalten hatte, jedoch nicht den Handschuh, und als sie zurückwich, glitt er ihr, das Innere nach außen gekehrt, von den Fingern. Ihre Hand und ihr Arm waren nackt.
Sie trat aus seiner Reichweite. Sebastian war nicht der Typ Mann, der über ein Sofa klettern würde, um sie zu verfolgen.
Aber er sah sie nicht an; er hielt ihren einzelnen, weißen Handschuh
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