Das Buch der Vampire 01 - Bleicher Morgen
jemand anderem, der das Haus verließ. Es ist absurd, Rockley, wirklich absurd, zu glauben, dass Victoria ein Etablissement wie dieses besuchen würde.«
Max bemerkte, dass einer der Vampire Rockley mit mehr als nur Neugier im Blick anstarrte. Er musste den Mann hier rausschaffen, bevor sie in ein Handgemenge gerieten. Der Frieden, den die Untoten und Sterblichen hier im Silberkelch wahrten, war zerbrechlich. Sobald man ihn überstrapazierte oder missbrauchte, würde er in einen blutigen Tumult münden. Er hatte es bereits erlebt.
Ungeachtet der Tatsache, dass so etwas Sebastian Vioget mehr als ungelegen käme, durfte Max es nicht zulassen. Er musterte Rockley, der trotz seiner gestriegelten Frisur und der perfekt geknoteten Krawatte bereit und fähig schien, sich selbst zu verteidigen.
Den Helden zu markieren war schön und gut und machte bestimmt Eindruck bei den Damen, aber der Marquis von Rockley war nicht ansatzweise für die speziellen Gefahren, die hier lauerten, gerüstet. Max hatte jede Menge Erfahrung und wenig Geduld mit solch naiven Gutmenschen.
Das Einzige, was man in einer Situation wie dieser tun konnte, war, Zeit zu gewinnen, Rockley einen Whisky zu beschaffen und diesem etwas salvi beizumengen. Das würde den Umgang mit dem Mann wesentlich erleichtern.
»Sie haben mir gar nicht gesagt, dass Sie verlobt sind«, murmelte Sebastian im flackernden Lichtschein.
Victoria fühlte die kalten Steinmauern des Durchgangs hinter sich und die Wärme seiner Worte in ihrem Gesicht. Er hatte die Tür hinter ihnen geschlossen, sodass sie jetzt allein in dem Gang mit der gewölbten Decke standen. Er hielt noch immer ihren Arm zwischen Handgelenk und Ellbogen umfasst; sie hätte ihn seinem Griff mit einer einzigen kräftigen Bewegung entziehen können.
»Und Sie haben Max nichts von dem Schutzzauber auf dem Buch des Antwartha verraten«, gab sie zurück. »Also haben wir alle unsere kleinen Geheimnisse.«
Er lächelte. »Ist es ein Geheimnis, dass Sie mit einem reichen Stutzer verlobt sind? Einer, der aus der Dunkelheit gerettet werden muss wie eine Debütantin vor einem übereifrigen Verehrer?«
Daraufhin entzog Victoria ihm nun tatsächlich ihren Arm. »Rockley ist weder ein Geheimnis, noch ist er der schwächliche Tölpel, als den Sie ihn hinstellen. Würden Sie bitte nicht so nahe bei mir stehen.«
»Hat er Ihre vis bulla gesehen?« Er entfernte sich keinen Schritt, sondern fuhr mit der Hand zwischen ihren Körpern hindurch bis unter ihre Brüste, wo er sie flach auf ihr Kleid und die darunter liegenden, zitternden Muskeln ihres Bauches legte. »Weiß er, was sie bedeutet?«
Mit einem Stoß gegen seine Schultern schubste sie ihn weg. Er bewegte sich nach hinten, geriet jedoch kaum aus dem Gleichgewicht. Er war kräftiger, als sie geahnt hatte.
»Weiß er, dass sie bedeutet, dass sich seine Liebste nachts auf den Straßen herumtreibt? Und sie sich unter die Wesen der dunklen Seite mischen muss, um ihre Geheimnisse zu ergründen?« Ungerührt über ihre hitzige Reaktion sprach er weiter, mit leiser, hypnotischer Stimme. »Dass sie tötet, jedes Mal, wenn sie ihre Waffe erhebt? Dass sie über eine Stärke verfügt, die er selbst nie besitzen wird?«
»Er weiß nichts«, erwiderte Victoria. Sebastian war wieder auf sie zugekommen und drängte sie mit dem Rücken gegen die Wand, auch wenn er sie dabei nicht berührte.
»Hat er sie gesehen, Victoria?« Das sanfte Rollen, mit dem er die letzten Silben ihres Namens aussprach, verursachte ihr ein seltsames Beben in der Magengegend. »Hat er?«
Sie konnte den Blick nicht von seinen tigerartigen Augen abwenden, konnte kaum ihre Lungen dazu bringen, Luft zu holen. Die feuchtkalte, grobe Wand drückte sich durch ihren Umhang und das zarte Gewebe ihres Kleides, so wie zuvor seine Hand gegen die Vorderseite ihres Rockes gedrückt hatte. Sie spürte, wie ein kleines Rinnsal Kondenswasser von den Steinen auf ihren Hinterkopf tropfte. Es war kalt und roch modrig.
»Nein«, flüsterte sie.
Befriedigung erhellte seine Züge. »Ich verstehe.«
Er trat so plötzlich zurück, als würde er nach hinten gezerrt. Als ob ihm ihre Nähe plötzlich zu viel geworden wäre. Victoria, die nun wieder atmen und sich bewegen konnte, stieß sich von der Wand ab und ging auf Abstand zu ihm.
»Kommen Sie. Lassen Sie uns verschwinden, bevor Ihr Venator zurückkommt, um nach uns zu suchen.«
Er drehte sich um und schlenderte den Korridor hinunter, womit Victoria vor der Wahl
Weitere Kostenlose Bücher