Das Buch der Vampire 02 - Schwärzeste Nacht
hat. Er muss durch das Fenster geflüchtet sein, weil ich nämlich ins Zimmer sah, direkt nachdem ich den Schlag gehört hatte.«
Dann dämmerte Victoria plötzlich die Erinnerung. »Du wolltest, dass ich Polidori rette - du hast gegen den Imperialen gekämpft und wolltest, dass ich dich allein lasse. Du hättest sterben können.«
»Eine recht überraschende Wendung der Dinge, nicht wahr, mein tapferes Mädchen? Nun ja, vielleicht hat es sich aber auch nur so ergeben - schließlich musste ich einschreiten, als der Wächter von deinem hübschen Hals trinken wollte, und der Imperialvampir stand direkt hinter ihm. Wenn ich ihn nicht mit dem Schwert herausgefordert hätte, wäre das dein Ende gewesen... Und was wäre dann aus uns geworden?«
Spott funkelte in seinen Augen. »Auch wenn es auf reiner Mutmaßung basierte, dachte ich mir, dass selbst ich ihn für ein paar kurze Momente würde aufhalten können. Und es war sicher nicht mehr als ein Zufall, dass es mir gelang, den Imperialen lange genug abzulenken, damit du ihm den Hals abtrennen
konntest.Trotzdem muss ich zugeben« - er neigte bedächtig den Kopf -, »dass es eine Erleichterung war, als du den Bann des Wächters abschütteln konntest. Für ein paar Minuten war ich nämlich recht besorgt. Du sahst mit deinen geöffneten Lippen und den verträumten Augen aus, als wärst du bereit, alles zu tun, was er verlangte.«
Victoria stakste zum Bett und zog ein Laken über den toten Mann. »Niemand darf hier herein. Wir müssen das, was heute Nacht geschehen ist, unbedingt geheim halten.« Sie sah Sebastian an.
»Ich kümmere mich um Polidori. Und um das Zimmer hier. Wir könnten alles verbrennen.«
»Meine Zofe wird uns helfen. Und vielleicht kann ich nach meiner Tante in London schicken. Sie versteht es... Menschen in Situationen wie dieser von ihren Erinnerungen zu erlösen.«
»Ihre goldene Scheibe - natürlich. Ich habe von ihrem Pendel gehört, das die Erinnerung von Menschen... äh... ins Reine bringen kann. Das wäre äußerst hilfreich.Wenn du sie jetzt gleich verständigst, könnte sie morgen Nachmittag hier sein. Gewiss können wir sämtliche Anwesenden bis dahin hier festhalten. Es wäre nicht klug zuzulassen, dass sich Geschichten über die Geschehnisse von heute Nacht in ganz London verbreiten. Eine Massenpanik könnte die Folge sein -«
»Ganz zu schweigen von all den Möchtegern-Vampirjägern. Ein sehr gefährlicher Zeitvertreib für ungeübte Leute.«
Er musterte sie, als versuchte er auszuloten, ob die Bemerkung auf ihn gemünzt war. »Jeder kann einen Vampir pfählen«, lautete seine gelassene Antwort.
»Nur, wenn er nahe genug herankommt.« Victoria drehte sich wieder zu dem Gemetzel auf dem Bett um. »Nach allem, was er
über Vampire wusste, sollte man annehmen, dass er sich irgendwie geschützt hätte. Dass er ein Kruzifix bei sich gehabt hätte, einen Pflock... oder sonst irgendetwas.«
»Ein Kruzifix hätte ihm nicht helfen können - Polidori war Atheist. Deshalb hätten heilige Reliquien, die keine Bedeutung für ihn hatten, ihm keinen Schutz bieten können.«
»Wie kann jemand an das unsterblich Böse und die Verdammung glauben, ohne gleichzeitig an das göttliche Gute zu glauben? Das eine kann nicht ohne das andere bestehen.«
Sebastian zuckte die Achseln. »Du und ich, wir wissen es besser, da wir diesen Aspekt unserer Welt schon seit einiger Zeit begreifen und erfahren. Ich denke, Polidori hatte immer noch Probleme damit, zu akzeptieren, dass es das wahrhaft Böse wirklich gibt: das übersinnliche, unsterbliche, allem anhaftende Böse.«
»Möglich. Aber weshalb hatten sie es überhaupt auf ihn abgesehen? Du wolltest, dass er es mir erzählt... Aber sicherlich kennst du den Grund auch.«
»Mir ist nur bekannt, dass sich die Tutela in Italien erhebt, und Polidori wusste etwas über sie und über ihren Anführer, Nedas. Etwas, von dem die Vampire verhindern mussten, dass es bekannt würde, vermutlich irgendeine geheime Schwäche. Oder aber ein Detail ihrer Pläne. Doch er hat mir weiter nichts verraten. Er traute mir nicht. Er erlaubte mir, in seiner Nähe zu bleiben, weil er keine andere Wahl hatte, aber sein Vertrauen in mich reichte nicht weit genug, als dass er mir alles erzählt hätte.«
Victoria zog die Brauen hoch. »Aber mir hätte er vertraut?«
»Du bist ein Venator. Eustacia Gardellas Großnichte. Ja, ich denke, das hätte er. Aber jetzt... werden wir es nie mehr erfahren.«
»Nedas. Du hast ihn vorhin erwähnt
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