Das Buch der Vampire 02 - Schwärzeste Nacht
John Polidoris, stand eilig von seinem Stuhl auf und kam auf sie zu, um sie zu begrüßen, wobei er sein Hinken so unauffällig wie möglich hielt.
Dies also war Lord Byron, Dichter und, falls die Gerüchte stimmten, ein Meister der Liebeskunst.
Ganz ohne Zweifel hatte er sehr hübsches Haar. Und eine hohe Stirn. Allerdings war er relativ klein.
Und offensichtlich an die hinreißende rothaarige Frau vergeben, die ihm auf den Fersen folgte.
»Lord Byron, ich danke Ihnen vielmals für Ihre freundliche Einladung. Ich bin seit etwas mehr als einer Woche hier und habe mich langsam schon gefragt, ob ich jemals wieder unter Menschen komme.Was für triste Tage das doch waren! Aber Ihre Party ist ganz zauberhaft.« Sie knickste kurz, reichte ihm die Hand und lächelte dabei die Frau an, während sie darauf wartete, dass Byron sie einander vorstellte.
»Mein Liebling, dies ist Mrs. Emmaline Withers, eine Freundin von John. Sie hatte das Pech, vor ein paar Wochen bei jener Wochenendgesellschaft anwesend zu sein, bei der er starb. Mrs. Withers, darf ich Ihnen Teresa, die Gräfin Guccioli, vorstellen. So! Nun wollen wir mit der Lesung fortfahren!«
Mit einer Bewegung, die man nicht anders als schwungvoll bezeichnen konnte, wandte der Dichter sich wieder der Stuhlgruppe zu, wo die anderen sieben oder acht Gäste saßen.
»Er lässt sich nur ungern unterbrechen, wenn er eines seiner Werke vorträgt«, erklärte Teresa Victoria mit liebenswürdigem Lächeln. Ihr Englisch war perfekt, doch in den Silben klang ein trällernder Akzent mit. »Es freut mich sehr, Sie kennen zu lernen, Mrs. Withers. Wie ich gehört habe, sind Sie in mein schönes Heimatland gekommen, um sich vom Tod Ihres Gatten zu erholen. Es tut mir sehr leid für Sie. Allerdings gibt es Momente, in denen es gar nicht schlecht ist, seinen Ehemann los zu sein. Ich bin überzeugt, dass Sie Venezia als wunderbaren Ort schätzen
lernen werden. Hier können Sie es genießen, dass Sie mit einer hübschen Summe ausgestattet wurden, und das ohne einen Ehemann als lästige Begleiterscheinung. Nun kommen Sie mit mir, damit wir Ihnen einen Platz neben einem unserer attraktiven jungen Männer suchen können.«
Zum Glück hatte Eustacia Victoria vorgewarnt, was die Gräfin Guccioli betraf, denn ansonsten hätte sie sich zutiefst beleidigt gefühlt.Teresa und Byron hatten sich vor zwei Jahren ineinander verliebt und lebten seither in wilder Ehe zusammen, teilweise sogar im Palazzo Guccioli, während der Gatte der Gräfin ebenfalls anwesend war. Das, behauptete Eustacia, war ein typisches Beispiel für die großen Unterschiede zwischen der italienischen und englischen Vorstellung einer Ehe.
In Italien heiratete man den Eltern zuliebe und suchte sich anschließend einen Liebhaber. Diesem brachte man dann den Respekt und die Treue entgegen, die bei den meisten Engländern ihren Ehegatten vorbehalten waren - zumindest von außen betrachtet. Dementsprechend unterschied sich Teresa Guccioli gar nicht so sehr vom Rest ihrer Landsleute, nur hatte sie eine recht offene Art und Weise, das auch auszusprechen.
Victoria nahm auf einem Brokatsessel Platz, dann hörte sie zusammen mit den anderen weit länger als eine halbe Stunde zu, wie Byron seine neuesten Stanzen vorlas. Sie hatte für so etwas zwar nicht mehr übrig als dafür, untätig Musikdarbietungen zu lauschen, aber sie schaffte es, so zu tun, als gefiele es ihr. Es war nicht so, dass die Stanzen hölzern oder uninteressant gewesen wären, aber Victoria hatte eine Aufgabe zu erledigen, und ganz gewiss würde sie nicht herausfinden können, ob Byron ein Mitglied der Tutela war, während er über untergehende Sonnen und die fließenden Gewänder von Göttinnen rezitierte.
Dann endlich war der letzte Teil der Lesung vorüber, aber falls die anderen Gäste ebenso entzückt darüber waren wie sie, so zeigten sie es nicht. Alle standen auf und gesellten sich in kleinen Grüppchen zueinander, während Drinks und appetitliche kleine Antipasti serviert wurden.
Victoria unterhielt sich kurz mit Teresa, bevor diese weggerufen wurde, um die dilettantische Zeichnung einer ihrer Freunde zu bewundern. Sie beobachtete, wie Lord Byron mit einem unverkennbaren Humpeln in seinen Schritten das Zimmer verließ, dann positionierte sie sich in der Nähe der Tür.
Wo einer hinausging, musste er auch wieder hereinkommen.
Das tat er kurze Zeit später, und es gelang Victoria, seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
»Mrs.Withers, ich hoffe Sie
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