Das Buch der Vampire 02 - Schwärzeste Nacht
doch nicht, Mylady. Ärger ist das Letzte, was der mir macht. Er ist einfach zu gefallsüchtig, wenn Sie wissen, was ich meine. Ständig fragt er, was er tun soll, wie er helfen kann. Er ist eben ein unbedarfter Bengel vom Land, der noch nie in’ner Stadt war, und das merkt man halt.«Verbena war inzwischen hinter ihre Herrin getreten und hatte begonnen, ihr die langen Locken auszukämmen. »Mich schaudert, wenn ich mir bloß vorstelle, was passiert, wenn er einem echten Vampir über den Weg läuft... Wahrscheinlich würde er ihn zum Tee hereinbitten! Hmpf. Also, wegen Ihrem Debüt hier heute Abend müssen wir dafür sorgen, dass Sie so gut wie möglich aussehen, Mylady. Ich werde mindestens zwei Pflöcke in Ihren Haaren verstecken,
nur für den Fall, dass Sie über einen Vampir stolpern. Wer weiß, ob heute Abend welche ihr Unwesen treiben.«
»Ich habe seit unserer Ankunft nichts von ihrer Gegenwart gespürt. Abgesehen von der Seebrise nicht ein einziger kühler Hauch im Nacken. Ich frage mich langsam, ob die Tutela wirklich hier in Venedig ist. Und im Übrigen«, fügte Victoria mit einem warmen Lächeln hinzu, »sorgst du nicht stets dafür, dass ich so gut wie möglich aussehe?«
Sie war in guter Stimmung an diesem Abend und freute sich zum ersten Mal seit sehr langer Zeit wieder auf ein gesellschaftliches Ereignis. Ihre erste Woche in Venedig war zäh und enttäuschend verlaufen. Sie hatten sich häuslich eingerichtet, ihre Ankunft sämtlichen englischen Auswanderern mitgeteilt und dann auf Einladungen gewartet.
An den Abenden war sie gezwungen gewesen, zu Hause zu bleiben und im Salon ihr kalaripayattu zu üben, da sie die Stadt nicht gut genug kannte, um sie nach Vampiren zu durchstreifen. Außerdem kam noch erschwerend hinzu, dass die Hälfte der Straßen keine Straßen, sondern Kanäle waren.
Doch zumindest war Victoria gebeten worden, an einer Zusammenkunft teilzunehmen, die nirgendwo anders als in Lord Byrons Haus stattfand. Sie hatte mit einem solch raschen Erfolg nicht gerechnet, sondern vielmehr mit einer Teeeinladung hier, einer Dinnerparty dort, bevor sie mit Byron in Kontakt käme. Aber offensichtlich hatte ihre Erwähnung von Polidoris frühzeitigem Ableben ihr genau den Zugang zu Byrons Kreisen verschafft, den sie brauchte.
»Sie wissen, ich versuch mein Bestes, Mylady. Nicht, dass es schwer wäre, Sie schön aussehen zu lassen. Sie haben diese herrliche Haut von der Farbe einer hellen Rose, und dazu diese gro
ßen grün-braunen Augen. Und dann noch all dies Haar! Wer könnte dieses Haar nicht prächtig finden?«
»Es gab Zeiten, da habe ich daran gedacht, es abzuschneiden«, gestand Victoria, während ihre Zofe eine Partie ihrer Mähne abteilte. »Es stört mich, wenn ich kämpfe.«
»Das dürfen Sie nicht!« Verbenas weit aufgerissene blaue Augen sahen aus wie Kornblumen in voller Blüte. »Das werde ich nicht zulassen, Mylady. Ich werde einen Weg finden, es so zu frisieren, dass es Ihnen nicht ins Gesicht fallen kann. Und abgesehen davon... Wenn Sie es abschneiden, wie soll ich dann noch Ihre Pflöcke drin verstecken? Da ist dann nichts mehr da, um sie oben zu halten, wenn Sie alles abschneiden! Ich kenne ein paar Damen, die so etwas gewagt haben, aber ich werde Sie das nicht tun lassen.«
Verbenas Geschnatter ebbte nicht ab, während sie ihre Herrin fertig frisierte und ankleidete.Victoria war froh darüber, denn es erlaubte ihr, in eine stille Tagträumerei zu versinken, die nur von gelegentlichem zu festem Ziehen, einer zu eng gesteckten Haarnadel oder einer Anweisung wie: »Stehen Sie bitte auf«, oder: »Heben Sie die Arme, Mylady« unterbrochen wurde.
Nur leider wollten ihre Gedanken bei ihrem letzten Intermezzo mit Sebastian in der Kutsche verharren und der Art, wie er sie angesehen hatte, als er sagte: Ich habe dir Zeit gegeben zu trauern .
Selbst jetzt fühlte ihr Magen sich wie ein Teigball an, der durchgeknetet wurde, wenn sie an diesen Blick zurückdachte. Nicht, dass sie je einen Teigball geknetet hätte, aber als sie klein war, hatte sie Landa, die Köchin zu Hause in Grantworth House, beobachtet, wie sie es mit solcher Begeisterung und Hingabe tat, dass sie nun dachte, es müsse sich wie ihr Magen anfühlen.
Sie würde niemals vollständig aufhören zu trauern. Der Schmerz würde nachlassen, und sie würde mit ihrem Leben fortfahren - auf gewisse Weise tat sie das bereits -, doch der Kummer würde nie ganz verschwinden. Er würde sie für immer begleiten.
Wenn sie
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