Das Buch der Vampire 03 - Blutrote Dämmerung
wartest noch auf jemand anderen? Auf Zavier vielleicht? Oder … nein, es muss Vioget sein, der dich zögern lässt.« Nun lag wieder dieser altvertraute Spott in seiner Stimme.
Victoria hatte bereits begonnen, in das Dickicht hineinzumarschieren, doch bei seinen Worten blieb sie stehen und drehte sich um. Sie stellte fest, dass Max direkt hinter ihr stand. »Warum hast du mir nie von Sebastian erzählt?«
Er zog eine dunkle Braue hoch. »Von Sebastian? Nun, der Mann ist nicht gerade mein Lieblingsthema.«
»Er ist ein Venator. Das hast du mir nie gesagt.«
Wieder diese herablassende Miene. »Welchen Unterschied macht das schon? Er trägt zwar das Blut der Gardellas in sich, ist womöglich sogar einer der Auserwählten; aber er hat sich
dazu entschieden, seine Berufung zu ignorieren. Er ist es nicht wert, dass ich auch nur einen Gedanken an ihn verschwende.«
»Er hat dir das Leben gerettet.«
»Wofür ich ihm auf ewig dankbar sein werde.« Die Bitterkeit, mit der er dies sagte, strafte seine Worte Lügen. »Er hätte viele weitere Leben retten können, wenn er den ihm zugedachten Platz im Konsilium eingenommen hätte.«
»Trotzdem trägt er eine vis bulla .«
Max zog nun beide Brauen hoch, und Victoria spürte, wie sie angesichts dieses wissenden Ausdrucks errötete. »Ah, das erklärt also, warum du so lange gebraucht hast, um die Splitter aus dem Konsilium zu bringen. Du warst anderweitig … beschäftigt.«
Sie hielt die Luft an, um die Röte, die ihre Wangen zu überziehen drohte, zu bezwingen. Es gab keinen Grund, warum sie ihm gegenüber die sittsame Jungfer spielen sollte; er wusste, dass sie und Sebastian eine Affäre gehabt hatten. »Und wenn schon. Immerhin bin ich jetzt hier.«
Max musterte sie mit unergründlichem Blick. Dann verzog er die Lippen zu einem harten Lächeln. »Also ist deine Wahl auf Sebastian gefallen. Hast du Zavier unversehrt gelassen, oder ist sein Herz inzwischen nur noch ein Scherbenhaufen?«
Victoria brachte keine angemessene Antwort zustande, denn sie erinnerte sich nur zu gut an den Schmerz und den Zorn im Gesicht des Schotten. Stattdessen hob sie das Kinn und schob dabei die Hände in die Seitentaschen ihres Mantels. Sie wünschte sich plötzlich, dass ein Untoter auftauchen würde, den sie pfählen könnte. Sie wollte irgendetwas anderes tun, als
Aug in Auge dem Mann gegenüberzustehen, der verdammt noch mal immer Recht zu haben schien.
»Ich hatte dich gewarnt«, fuhr Max fort, der ihr Schweigen richtig deutete. »Und wer wird der Nächste sein,Victoria? Bestimmt willst du nicht peu à peu deine ganze Venatorenarmee vernichten, nur weil du dich nicht beherrschen kannst -«
Er brach ab, schluckte die Worte hinunter, dann schien er sich noch höher aufzurichten, während er sich gleichzeitig von ihr zurückzog und seinen unvermittelten Anflug von Rage im Keim erstickte. »Das hier führt zu nichts. Außerdem bleibt uns nicht mehr viel Zeit, bis die Sonne untergeht.«
Er drängte sich an ihr vorbei und begann, sich mit seinen langen Beinen zügig einen Weg durch das Gestrüpp entlang der Mauer zu bahnen, sodass die Zweige und hohen Gräser in seinem Kielwasser wippten und tropften. Als Victoria sich umdrehte, um ihm zu folgen, regnete Wasser auf ihr Haar und ihre Arme herab, und sie wünschte sich, sie hätte ebenfalls einen Hut mitgenommen.
In einer ihrer Manteltaschen fühlte sie das schwere Metall ihrer Pistole, in der anderen die warme Glätte des Obsidiansplitters. Während sie Max hinterherlief, amüsierte sie sich mit dem nicht ganz müßigen Gedanken, was von beidem ihm wohl zwischen seinen breiten Schultern den dauerhafteren Schmerz zufügen würde.
Sie ließ die Pistole wieder in die Tiefen ihrer Tasche gleiten, hielt den Splitter jedoch weiterhin fest. Er fühlte sich gut und kraftvoll an. Gewichtig. Ihr war nie zuvor aufgefallen, wie gut er sich in ihre Handfläche schmiegte, wie er mit ihr zu verschmelzen schien. Zwar hatte sie schon früher darüber nachgedacht,
was für eine effiziente Waffe er abgeben würde, doch hatte sie ihn noch nie lange genug gehalten, um zu spüren, wie stark er wirklich war.
Der Stein erwärmte sich in ihren Fingern, und sie zog ihn heraus, um seine glänzende, schwarze Form zu bewundern. Ein Objekt des Bösen. Selbst in dem verbliebenen trüben Tageslicht, in den Schatten des verwilderten, ungepflegten Gartens war sein blau-schwarzer Schimmer so intensiv, als würde er von innen brennen.
Sie verlangsamte ihre Schritte,
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