Das Buch der Vampire 03 - Blutrote Dämmerung
zu warten, sie hätte es getan. Aber es wäre unklug gewesen, den Vampiren und Dämonen für eine weitere Nacht die Gelegenheit zu geben, Jagd auf den Splitter zu machen. Falls sie sich beeilte, konnte sie ihre Aufgabe noch vor Sonnenuntergang zu Ende bringen.
Schließlich erreichte sie den zerklüfteten Teil der Mauer, welcher an der Rückseite des gleich einem lang gezogenen Fünfecks geschnittenen Anwesens der Villa Palombara lag. Weit
entfernt ragte am anderen Ende des Grundstücks hinter einem Dickicht von Baumwipfeln der Dachfirst hervor.
Victoria würde sich ein weiteres Mal durch das Unterholz kämpfen müssen, und - was für ein Glück -, es war wieder ein regnerischer Tag. Und die Magische Tür, deren halb verfallene Mauer einen kleineren, zur Villa gehörenden Garten umgab, lag etwa in der Mitte des Terrains. Trotzdem war es noch immer besser, nass zu werden, als zu versuchen, sich ihr von der Vorderseite her zu nähern, wo sie von der Villa aus gesehen werden könnte.
Selbst mithilfe des Baumes gestaltete es sich für Victoria schwierig, über die Mauer zu klettern, doch nachdem sie um ein Haar aufs Gesicht gefallen wäre, als sich einer ihrer Stiefelabsätze im Saum ihres Rockes verfing, schaffte sie es am Ende doch noch. Allerdings landete sie auf allen vieren im nassen Gras, wobei sie sich eine Hand an einem Ast anschlug, die andere in einem Büschel Unkraut versenkte und mit ihrem verletzten Bein so unglücklich auf einem Stein aufkam, dass ihr ein sengender Schmerz durch den Körper fuhr.
Leise fluchend begann sie, sich auf die Füße zu rappeln, als ihr Blick plötzlich auf ein Paar abgewetzter, schwarzer Stiefel fiel.
»Ich erwarte dich schon seit Stunden.«
Warum musste es ausgerechnet immer Max sein, der Zeuge wurde, wenn jede Anmut sie verließ?
»Wie töricht von dir, so lange im Regen herumzustehen. Was tust du hier eigentlich?« Victoria belastete ihr schwaches Knie nur behutsam, während sie sich die nassen, schmutzigen Handflächen an ihrem Mantel abwischte. Obwohl es inzwischen
zu nieseln aufgehört hatte, war die Luft noch immer dunstig und regenschwer.
»Auf dich warten.«
Sie strich sich eine Locke, die ihr bei ihrem Sturz über die Augen gefallen war, aus dem Gesicht und blickte zu ihm hoch. Die Art, wie er sie mit seinen dunklen Augen unter seiner tropfenden Hutkrempe hervor anstarrte, so als hätte er sie nie zuvor gesehen, sandte ihr einen leisen Schauder über den Rücken. »Was ist los? Habe ich einen Fleck im Gesicht?«
»Ja, hier.« Noch bevor sie auch nur blinzeln konnte, wischte er ihr schon mit seinem großen, rauen Daumen über die Wange. »Hast du das Bruchstück von dem Obelisken dabei?«
Sie hätte nicht überrascht sein sollen. Und war es auch nicht. »Ja, zusammen mit dem letzten Schlüssel.« Sie rempelte gegen einen hohen, jungen Baum, an dem noch immer ein paar Blätter hingen, sodass sich ein leichter Sprühregen auf ihre Arme und den Boden ergoss.
Max nickte. »Eine gute Strategie. Benutz den letzten Schlüssel, um die Magische Tür zu öffnen, hol heraus, was auch immer interessant für uns ist, und schließ dann den Splitter dort ein. So wird ihn anschließend nicht nur niemand ohne die Schlüssel an sich nehmen können. Akvans eigene, energetische Macht wird außerdem verhindern, dass er, selbst wenn er in ihrer Nähe ist, die geringere Kraft der beiden Obsidianfragmente wittert.«
»So wie die Energie irgendwelcher anderer Splitter, die er möglicherweise hat, die Präsenz von diesen hier überlagern wird.« Sie standen noch immer jenseits der Mauer neben der hohen Eiche, aus deren Ästen ein schwacher Wind alten Regen
auf sie niederprasseln ließ. Es herrschte absolute Stille, und die grauen und braunen Büsche verbargen sie gut vor jedweden Beobachtern, die möglicherweise aus den Fenstern der Villa spähten. »Woher wusstest du, was ich vorhabe?«
»Es war die einzig logische Schlussfolgerung. Du hast den letzten Schlüssel gefunden, und du warst dir der Gefahr, die die Bruchstücke des Obelisken darstellen, bewusst. Es war nicht schwer, eins und eins zusammenzuzählen.« Normalerweise hätte Max bei einer solchen Unterhaltung arrogant geklungen, doch heute machte er einen recht verhaltenen Eindruck.
Victoria glaubte, den Grund zu kennen. »Du hast mit Wayren über den Angriff gesprochen.«
Wieder nickte er. »Ja, vorhin.« Dann vollführte er eine seiner typischen, ungeduldigen Handbewegungen. »Lass uns jetzt loslegen. Es sei denn, du
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