Das Buch der Vampire 03 - Blutrote Dämmerung
sehr gepflegter Mann, mit seinem kleinen, perfekt gestutzten Schnauzer und dem kurzen Kinnbart. Seine Garderobe war teuer und modisch, er war nicht zu groß, und, was das Beste von allem war, er besaß diesen bezaubernden Akzent.
Natürlich hatte es da jenen Tag nach der Schatzsuche in der Villa Palombara gegeben, als er, anstatt ihr seine Aufwartung zu machen, lediglich Blumen geschickt hatte. Was Melly mehr als nur ein verächtliches Schnauben entlockt hatte. Sie kannte ein solches Verhalten bereits von den Männern Londons; selbst Jellington hatte versucht, ihr Interesse zu schüren, indem er sie mit Blumen, Schmuck und dergleichen überhäufte.
Doch Lady Melly verzehrte sich nach viel mehr als nach protzigem Flitterkram oder Grünzeug, das nach ein oder zwei Tagen in seiner Vase verwelken würde. Sie wollte einen echten Gefährten, einen Mann, der Esprit hatte. Und der sie, was am allerwichtigsten war, auf Händen trug.
»Er sollte jeden Moment eintreffen«, quiekste Nilly, mit vor Aufregung gerötetem Gesicht. Sie spähte zwischen den Spitzenvorhängen von Mellys Ankleidezimmer auf die Straße hinunter, um nach der Kutsche des Grafen Ausschau zu halten, während ihre Freundin ihrer Toilette den letzten Schliff gab.
»Ich kann mir einfach nicht vorstellen, wohin er dich an einem
solch grässlichen Nachmittag ausführen will. Es ist nicht ein einziger Sonnenstrahl zu sehen, und der Himmel ist ganz grau. Bestimmt wird es bald regnen«, bemerkte Winnie voller Geringschätzung von ihrem Stuhl in der Ecke aus. »Dein Haar wird patschnass werden, und dann deine Hutfedern! Sie werden an deinem Gesicht kleben, noch bevor du in der Kutsche sitzt.«
»Der Conte Regalado hat angeboten, mir das Kolosseum zu zeigen, und anschließend vielleicht noch den Gianicolo-Hügel. Möglicherweise wird es ein wenig kalt sein, aber ganz bestimmt werden wir nicht nass.«
»Der Conte? Ich dachte, du sollst ihn Alberrrrto nennen?«, schnaubte Winnie, doch um ihre Mundwinkel zuckte ein Lächeln.
»Dann eben Alberto.« Melly lächelte ebenfalls, allerdings in den Spiegel, wo sie ihre Grübchen und die zarte Rosafärbung ihrer Wangen bewunderte.
»Er ist da!«
Winnie sprang auf die Füße und eilte zum Fenster. »Er ist es tatsächlich, und er sieht aus, als wollte er ins Theater gehen. Ich hoffe, du bist bis zum Abendessen zurück, damit du uns noch vor dem Schlafengehen sämtliche Details erzählen kannst.«
»Und ich«, erwiderte Melly, während sie zur Tür schwebte, als sei sie wieder eine junge Debütantin, »hoffe genau das Gegenteil.« Sie blieb stehen und sah sich noch einmal zu den beiden um. »Immerhin bin ich eine Witwe, wir sind nicht in London, und er ist … sehr attraktiv. Möglicherweise wird es eine lange Spazierfahrt.«
Nilly quiekte wieder, dieses Mal jedoch vor Enttäuschung. »Verschreck ihn bloß nicht, Melly!«
Winnie lachte. »Der arme Mann hat gegen unsere Melisande nicht die geringste Chance«, bemerkte sie voller Wärme, während sie zusah, wie ihre älteste und liebste Freundin mit mehr Energie die Treppe hinunterlief, als sie selbst je besessen hatte. »Ich hoffe nur, dass das hier besser ausgeht als ihre letzte Eheanbahnung. Womit ich die von Victoria und Rockley meine.«
Nilly nickte. »Ganz bestimmt wird es das.«
Die beiden Damen wollten sich gerade nach unten in den Salon begeben, als Victorias Zofe - dieses Mädchen mit dem unvorteilhaft buschigen, orangeroten Haar - auftauchte.
»Bitte verzeihen Sie, Madam. Eure Durchlaucht«, sagte Verbena mit einem kleinen Knicks.
Überrascht, von ihr angesprochen worden zu sein, wandten beide gleichzeitig den Kopf zu ihr um.
»Was gibt es?«, fragte Winnie mit ihrer Herzoginnenstimme. Sie war mit einer Hand am Geländer auf der Treppe stehen geblieben.
»Ich möchte ja nicht stören«, erwiderte die Zofe mit etwas weniger Unterwürfigkeit, als Winnie erwartet hätte. »Aber sagten Sie gerade, dass Lady Melisande mit einem Conte ausgeht?« Regalados Titel hörte sich aus ihrem Mund an wie »Compte«, trotzdem wusste Winnie, was das Mädchen mit dem Mondgesicht meinte.
»Ja.« Sie bediente sich erneut ihres autoritären Herzoginnentonfalls.
»Oh, du meine Güte … ist es am Ende der Conte Regalado?«
»Ja!« Winnie verlor allmählich die Geduld. »Wenn du etwas
zu sagen hast, dann spuck es endlich aus. Ich kann nicht den ganzen Tag hier herumstehen. Es ist schon fast Zeit für den Nachmittagstee.«
»Oh … Euer Durchlaucht, Lady Melisande schwebt
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