Das Buch der Vampire 03 - Blutrote Dämmerung
ganze Konzentration bündelte und seine Aufmerksamkeit weg von dem goldenen Licht und auf die sandfarbene Wand richtete.
»Sie ist zurückgekehrt. Sie ist in Sicherheit, Max. Du kannst nun gehen.«
Er nickte, dann fühlte er, wie ihm der Kopf leicht und die Lider schwer wurden. »Sag ihr …« Er konnte nicht mehr sprechen, es war zu anstrengend. Deshalb formten seine schwerfälligen, trägen Lippen die Worte lautlos.
Der Geruch von Rosen, den er warm an seinem Nacken spürte, veränderte sich plötzlich, und es roch nach Fäulnis.
Dann ließ Max los.
Es war schon beinahe drei Uhr morgens, als Victoria sich endlich von ihrer noch immer erbosten Mutter und deren zwei schnatternden Freundinnen verabschieden konnte. Das war zwar für die Maßstäbe der Londoner Gesellschaft alles andere
als spät und auch für Victoria selbst nicht gerade ungewöhnlich, doch nach allem, was in den letzten Tagen passiert war, fühlte sie sich erschöpft bis auf die Knochen.
Sie musste unbedingt zur Villa Palombara zurückkehren und nach dem verlorenen Splitter suchen, doch zuerst wollte sie ihre Kleidung wechseln und sich ein Paar warme, trockene Schuhe sowie einen Hosenrock anziehen. Sie hatte Verbena zu Bett geschickt, ohne sie über ihre Pläne zu informieren; sie würde sich von Oliver fahren lassen.Victoria setzte sich auf den Stuhl vor ihrem Frisiertisch und machte sich daran, ihre nassen Strümpfe auszuziehen.
Gestern Abend war der Angriff auf das Konsilium erfolgt, bei dem Mansur und Stanislaus den Tod gefunden hatten, und dann hatte es noch diesen entsetzlichen Moment gegeben, als sie und Sebastian von Zavier entdeckt worden waren … und das alles, nachdem sie zusammen mit Sebastian und Max eine Nacht zuvor in einem unterirdischen Verlies der Villa Palombara eingesperrt gewesen war.
Falls sie noch vor ein paar Wochen, als sie keine vis bulla getragen hatte, ungeduldig und gelangweilt gewesen war, so erschien es Victoria jetzt, als sei sie in ein unkontrollierbares Schlachtengetümmel katapultiert worden. Ganz zu schweigen davon, wie eindringlich sie im Moment wieder daran erinnert wurde, dass es schlicht unmöglich war, ihre beiden Welten voneinander getrennt zu halten.
Das mit ihrer Mutter und Regalado war ziemlich knapp gewesen. Wenn sie nur daran dachte, wurde ihr schon ganz flau im Magen. Sie hätte es nicht ertragen, noch einen dritten geliebten Menschen an die Vampire zu verlieren, und schon gar
nicht ihre Mutter, die nicht den Hauch einer Ahnung hatte von all der Dunkelheit und dem Bösen, die sie umgaben.
Sie musste eine bessere Methode finden, ihre beiden Leben voneinander abzuschotten. Sie musste ihre Mutter und deren Freundinnen von den Vampiren fernhalten und gleichzeitig die Tatsache verheimlichen, dass sie zu jenen gehörte, die sie bekämpften.
Wie hatte Eustacia das geschafft? Wie schafften es die anderen Venatoren? Gewiss hatten sie alle Eltern, ein paar von ihnen außerdem Geschwister und andere Menschen, die ihnen etwas bedeuteten. Sie hatten vor ihrer Berufung zum Venator doch auch ein Leben gehabt. Wie machten sie es also?
Wenn ihre Tante hier gewesen wäre, hätte sie sie fragen können. Es war ein Punkt, über den sie, selbst als sie mit Phillip verheiratet gewesen war, nie wirklich gesprochen hatten. Sie wusste, dass ihre Tante mit ihrer Entscheidung nicht einverstanden gewesen war, aber trotzdem hatte sie nicht versucht, sie ihr auszureden. Im Gegensatz zu Max, der deswegen mit ihr gestritten und ständig irgendwelche Warnungen geäußert hatte.
Warum hatte ihre Tante sie nicht davon abgehalten? Weil sie Victoria die Chance hatte lassen wollen, Liebe und Glück zu finden, ganz gleich, welche Schwierigkeiten damit auch einhergehen mochten?
Aber zumindest hatte Eustacia ihr ein Mittel gegeben, mit dem sie eine Schwangerschaft verhindern konnte.
Doch nun war auch sie gegangen.
Zu ihrem eigenen Missfallen spürte Victoria, wie ihr die Tränen in die Augen traten und sie zu schniefen begann. Sie hasste es, zu weinen. Sie war ein Venator, und trotzdem hatte sie in
den letzten paar Tagen häufiger geweint als in dem ganzen Jahr, nachdem Phillip gestorben war.
Gestorben?
Nein . Nicht gestorben . Sie musste der Wahrheit ins Gesicht sehen. Es war kein Unfall gewesen. Und er war auch nicht einfach gestorben.
Sie hatte ihn getötet.
Sie hatte ihn durch ihre Naivität, ihre Selbstsucht und Abenteuerlust getötet.
Eigenhändig.
Mittels eines Pflocks, wie sie es schon so viele Male zuvor - und
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