Das Buch der Vampire 03 - Blutrote Dämmerung
sich trug, hatte er beschlossen, das Risiko einer Verfolgung zu umgehen, indem er sich für eine viel längere Route entschied, als ihm eigentlich lieb war. Als er dann endlich tropfnass auf dem Marmorboden des Konsiliums gestanden hatte, war es schon fast Mitternacht gewesen, und Wayren hatte ihn ersucht, nicht noch einmal nach draußen zu gehen.
Wie immer war es eine Bitte gewesen, und kein Befehl. Aber eine, die er nicht ablehnen konnte.
Es war so weit.
Er vermied es, den winzigen Rubintiegel anzusehen, der neben
einer zierlichen Laterne auf einem Tischchen stand. So klein er auch sein mochte, er verlockte ihn. Hier in diesem kargen Raum am Ende eines der langen Gänge der Katakomben des Konsiliums - so geheim und so weit vom Brunnensaal entfernt, dass niemand außer Wayren, Ilias und eventuell Ylito von seiner Existenz wusste - war der rubinrote Tiegel der einzige Farbtupfer.
Er verhöhnte ihn. Dieses Behältnis, das sein Leben verändern würde und das er nun nicht länger meiden konnte.
Genau wie jene Entscheidung, die längst nicht mehr die seine war.
War sie es überhaupt je gewesen?
Rasch zog er die trockenen Kleidungsstücke über, die Wayren für ihn bereitgelegt hatte, wobei er sich darüber ärgerte, dass sie an seinen noch immer feuchten Beinen kleben blieben: Die unterirdische Luft war ebenso kalt wie seine Haut. Während er in das Hemd schlüpfte, fiel sein Blick auf die silberne vis bulla , die ihm nicht wirklich gehörte. Er strich darüber, berührte das filigrane, nur fingernagelgroße Kreuz, das an seiner Brustwarze hing und ihm die Stärke, den Willen und die Rechtfertigung gab, die er brauchte.
Dann nahm er es mit geschickten Fingern ab. Augenblicklich verebbte seine Kraft. Sie glitt davon wie eine Decke, die von einem schlafenden Körper gezogen wird, und der Verlust machte ihm im ersten Moment so sehr zu schaffen, dass seine Hände zitterten. Die Schusswunden, die er sich zwei Nächte zuvor zugezogen hatte und die schon fast verheilt gewesen waren, pochten und hämmerten nun wieder tief in seinen Muskeln, so als wären sie Vorboten einer düsteren Zukunft.
Aber natürlich würde er sich nach dem Aufwachen an nichts von alledem erinnern.
Er legte die vis bulla neben die zierliche Laterne und den Rubintiegel, der ihn zu verhöhnen schien. Dann, so als wollte er der blasphemischen Gegenwart des Gefäßes entgegenwirken, griff Max nach seinem kleinen Lederbeutel und holte die wenigen Dinge heraus, die er darin aufbewahrte.
Am nächsten Morgen, oder wann auch immer man ihn wecken würde, hätten weder die vis bulla noch der Tiegel länger irgendeine Bedeutung für ihn. Genauso wenig wie die verkohlte Satinrose, der schwarze Pflock mit dem eingravierten Silberkreuz an seinem stumpfen Ende, die kleine Weihwasserphiole, die Perlenohrstecker oder das goldene Uhrgehäuse - wie irgendeiner der Gegenstände auf dem Tisch.
Erbost über das Selbstmitleid, das er empfand, wandte Max den Blick ab. Er tat, was er tun musste. Ohne zu zögern. An dem Tag, als er nach der Tragödie, die er über seine Familie gebracht hatte, erwacht war, hatte er das Versprechen abgegeben, den Venatoren zu dienen. Für den Rest seines Lebens.
Und noch war sein Leben nicht vorüber.
Was würde er im Anschluss an das hier tun?
Er zuckte mit den Schultern. Sein weiterer Lebensweg würde sich noch früh genug abzeichnen. Er musste nur die Augen offen halten und ihn dann einschlagen.
Er war dankbar, als ein Klopfen an der Tür ihn von seinem Selbstmitleid ablenkte. »Komm herein.«
Nachdem Wayren über die Schwelle getreten war, ließ sie den Blick rasch über ihn, die Gegenstände auf dem Tisch und das unberührte Bett gleiten. »Bist du bereit?«
»Hast du etwas von Victoria gehört?«
Sie sah ihn scharf an, dann nickte sie. »Ja. Sie hat eine Brieftaube geschickt, um sich zu erkundigen, ob du wohlbehalten zurückgekehrt bist.«
»Was ist mit Melisande?«
»Sie sind alle in Sicherheit. Hast du Ylitos Sud bereits getrunken?«
Max nickte.
»Gut. Ihm zufolge wird er dir das Ganze erleichtern; obwohl wir eigentlich noch immer nicht genau wissen, was passieren wird. Max, er hat diese Salbe untersucht, um herauszufinden, ob es eine Möglichkeit gibt, sie zu benutzen oder ihre Zusammensetzung so zu verändern, dass du die Verbindung zu Lilith durchtrennen kannst und trotzdem deine Fähigkeiten behältst.«
»Aber dann wäre ich keine Hilfe bei Akvans Vernichtung, oder? Kein Venator und auch kein Dämon wird Akvan
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