Das Buch der Vampire 03 - Blutrote Dämmerung
sich rasch vergewissert hatte, dass sie auch wirklich allein war und es keinen weiteren Zugang zu dem schmalen Erker gab, schlich sie zu den Vorhängen und linste durch die breite Öffnung nach unten. Sie zog sie vorsichtig - um durch die Bewegung des Samtes keine Aufmerksamkeit zu erregen - ein Stück weiter zusammen, dann beobachtete sie aus der Vogelperspektive das Geschehen unter ihr.
Obwohl die Anzahl der Gäste gering war, unterschied sich die Zusammenkunft auf den ersten Blick nicht von irgendeiner anderen Party. Und ganz bestimmt wies sie keinerlei Ähnlichkeit mit dem Tutela-Treffen auf, bei dem sie letzten Herbst das Pech gehabt hatte, dabei zu sein. Es wurde kein hypnotisch duftender Weihrauch verbrannt, es gab keinen Gesang und auch keine Empore, auf der ein hoher Tutela die Anwesenden dazu aufforderte, den Vampiren zu dienen und sie zu beschützen.
Es war bloß eine kleine Feier. Menschen unterhielten sich, und obwohl ihre Stimmen in dem relativ leeren Saal so laut und beklemmend widerhallten, dass Victoria ein Schauder über den Rücken lief, schien ansonsten nichts weiter ungewöhnlich zu sein. Sie witterte noch immer keine Vampire.
Dort stand ihre Mutter. Und daneben Lady Nilly, die, um irgendeinem wichtigen Argument Nachdruck zu verleihen, mit den Händen wedelte, als wären es die Flügel eines Vogels. Dann trat Lady Winnie mit einem Teller jener trockenen, italienischen Kekse, die sie angeblich so sehr verabscheute, zu ihnen.
In diesem Moment spürte Victoria, wie sich ihr jemand leise von hinten näherte, und ihre Armhärchen richteten sich auf.
Max.
Doch sie drehte sich weder zu ihm um, noch reagierte sie auf irgendeine andere Weise auf seine Gegenwart, sondern beobachtete stattdessen weiter aus dem Verborgenen die Leute unter sich.
Die Säume des Samtvorhangs zerknitterten in ihren Fingern, als sie sie straff vor ihr Gesicht zog, sodass sie gerade noch durch einen schmalen Schlitz hindurchsehen konnte. Max kam näher und berührte ihre Schulter, während er durch dieselbe Öffnung nach unten spähte.
Jetzt erkannte sie Zavier, der sich in der Mitte des Saals mit zwei Männern unterhielt; Victoria bemühte sich, ihre Aufmerksamkeit auf ihn zu konzentrieren und nicht auf Max, der sie von hinten gegen den Vorgang drängte.
Irgendwie musste er ihre Gedanken erraten haben, denn er flüsterte mit belustigter Stimme: »Ein netter Kerl, unser Zavier. Und ein guter Venator noch dazu.« Er stand nun so nah, dass seine Worte über ihre Wangen zu streifen schienen. Victoria war sich sicher, dass, wenn sie tief einatmete, ihre Schultern seine Brust berühren würden.
Sie beobachtete Zavier weiter, beobachtete, wie er schwungvoll gestikulierte, wobei seine muskulösen Arme und breiten Schultern ihn von den schlanken Gecken abhoben, mit denen er gerade sprach - Männer, die vielleicht ein paar hübsche Paraden mit einem Degen vollführen oder einen Fausthieb versetzen konnten, die, sollten sie in eine bedrohliche Situation geraten, jedoch nicht ein Jota der Körperkraft und Wendigkeit des zwangloser gekleideten Schotten aufbringen würden.
Um ihre Gedanken auf etwas anderes zu lenken, begann
sie, die Gäste zu zählen, während sie versuchte, ihren rasenden Herzschlag zu einem langsameren Tempo zu zwingen. Gleichzeitig hoffte sie, Max würde auf Abstand gehen, bevor sie es tun musste.
Doch er machte keinerlei Anstalten dazu, sondern sprach einfach weiter. »Sei vorsichtig mit ihm.« Ein scharfer Unterton schwang plötzlich in seinen Worten mit, eine unterschwellige Warnung.
»Vorsichtig?«
An der Bewegung seines Kopfes, der ihr Haar berührte, merkte sie, dass er nickte.
»Du wirst ihm das Herz brechen.«
Victoria zuckte überrascht zusammen, aber ihre plötzlich verkrampften Hände an den Vorhängen hielten sie davon ab, sich zu ihm umzudrehen. Den Blick noch immer nach unten gerichtet, wandte sie leicht den Kopf zur Seite, sodass er ihre kühle Antwort hören konnte. »Ihm das Herz brechen? Was um alles in der Welt meinst du damit? Sag bloß nicht, dass du gerade versuchst, mir Ratschläge in Herzensdingen zu geben, Max. Die einzige Erfahrung, die du in der Hinsicht hast, beschränkt sich auf deine Verlobung mit einer Frau, die sich leidenschaftlich gern mit Vampiren einlässt.«
»Zavier ist ein guter Mann«, entgegnete er vollkommen gelassen. »Du bist zu stark für ihn und wirst mit deinen Seidenschühchen nur auf seinen Gefühlen, die er im Übrigen viel zu offen zeigt,
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