Das Buch der Vampire 03 - Blutrote Dämmerung
machen.«
»Besuche? Bei wem denn?«, fragte Victoria, deren Aufmerksamkeit durch die plötzliche Blütenpracht auf ihrem Schoß und die herrischen Bemerkungen ihrer Mutter wachgerüttelt worden war. »Wir kennen hier niemanden.«
»Du bist nun seit fast sechs Monaten in Rom und hast in all der Zeit keine Bekanntschaften geknüpft? Das ist ja entsetzlich,
Victoria. Abgesehen davon stimmt es nicht, denn du kennst natürlich die Tarruscelli-Schwestern.«
»Ja, das stimmt. Aber sie sind -«
»Also wirst du morgen mit uns ein paar Besuche machen. Und so wird niemand hier sein, falls Alberto es wagen sollte, sein Gesicht zu zeigen.«
»Sein attraktives Gesicht«, ergänzte Winnie. »Sein überaus attraktives Gesicht. Wenngleich er natürlich ein ganzes Stück kleiner ist als Lord Jellington. Und noch dazu kahl. Außerdem kann er das Wort ›charmant‹ nicht buchstabieren.«
»Alberto?«, kiekste Nilly. »Er hat deine Karte mit ›Alberto‹ unterzeichnet?«
»Er muss sich in dich verliebt haben, Melly!«, folgerte die Herzogin mit hochgezogenen Brauen. Sie waren dick und borstig, und wenn sie sie in die Höhe zog, dann verschmolzen sie zu einem dunklen Balken auf ihrer Stirn. » Meine Karte hat er jedenfalls nicht mit ›Alberto‹ unterschrieben.«
»Was für ein hübscher Name«, seufzte Nilly und schlug dabei die dürren, blau geäderten Hände auf ihren nicht vorhandenen Busen. »So italienisch. So männlich! Und wie man das R rollen muss, wenn man ihn ausspricht … Alberrrrrrto. Alberrrrrrto .«
»Unsinn«, unterbrach Melly sie, allerdings erst, wie Victoria bemerkte, nachdem ihren Freundinnen die verzückten Worte auszugehen schienen. »Er wollte nur höflich sein. Wenn er wirklich eine Zuneigung zu mir gefasst hätte, wäre er persönlich gekommen. Wenigstens Jellington wusste, was sich gehört, wenngleich er mir, wie ich zugeben muss, am Tag nach unserem Kennenlernen keine Blumen geschickt hat.«
Victoria hatte ihrem Geschwätz nun lange genug gelauscht; allem Anschein nach schwärmte ihre Mutter ständig für diesen oder jenen Verehrer. Der Obsidiansplitter fühlte sich schwer an in ihrer Tasche, und die Sorge um Max’ Gesundheit belastete sie zusätzlich. Außerdem wollte sie unbedingt mit Wayren über das sprechen, was sich in der Vornacht zugetragen hatte. »Wenn ihr mich nun bitte entschuldigen würdet«, sagte sie und stand auf. »Ich habe eine Verabredung mit meiner … Lateinlehrerin«, ergänzte sie, überzeugt davon, dass Wayren nichts dagegen hätte, so genannt zu werden.
»Deine Lateinlehrerin?«, wiederholte ihre Mutter erstaunt. »Wofür um alles in der Welt willst du Latein lernen?«
»Damit ich die alten Werke über die Geschichte Roms besser studieren kann«, erwiderte sie gelehrsam, bevor sie nach einem kurzen Knicks zur Tür eilte. »Ich wünsche euch einen zauberhaften Tag. Leider weiß ich nicht, ob ich euch heute Abend Gesellschaft leisten kann, denn meine Lehrerin hat mich zu sich zum Essen eingeladen.«
Als Victoria zu später Stunde im Konsilium eintraf, war der Hauptsaal bis auf das Plätschern des Weihwasser-Brunnens still und verlassen.
Das war jedoch nicht weiter ungewöhnlich, denn die Venatoren hielten sich nur selten im Konsilium auf, es sei denn, es fand irgendeine Art von Versammlung oder Beratung statt. Meistens bestand für sie kein Grund, hier zu sein, und je seltener das Konsilium von den Venatoren aufgesucht wurde, desto geringer war die Gefahr, dass es entdeckt würde. Die Venatoren zogen es vor, ihre Zeit auf den Straßen zu verbringen und Vampire zu jagen.
Selbst Wayren und Ilias waren nicht immer anwesend, obwohl jeder von ihnen in den Tiefen dieser Katakomben eine Privatwohnung hatte. Auch ihre Arbeitsräume lagen - genau wie im Fall von Miro, Ylito und dem Arzt Hannever - in einem anderen Teil des unterirdischen Gewölbes, weshalb sie sich nur selten im Hauptsaal oder auf einer der Galerien blicken ließen.
Victoria war froh darüber, sich unverzüglich zu dem geheimen Lagerraum neben Wayrens Bibliothek begeben zu können. Nach allem, was letzte Nacht in der Villa Palombara geschehen war, und nicht zuletzt auch wegen ihres Traums, wollte sie sich vergewissern, dass der Splitter noch immer sicher verwahrt war. Außerdem wollte sie das andere, kleinere Stück dort verstecken, bevor irgendjemand von seiner Existenz erfuhr.
Je weniger davon wussten, desto besser. Desto sicherer.
Sobald sie in der Kammer war, schloss Victoria hinter sich die Tür, denn
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