Das Buch der Vampire 03 - Blutrote Dämmerung
zurückgelegt, als sie plötzlich stehen blieb. Hatte sie die Tür der geheimen Kammer auch wirklich verschlossen?
Sie erinnerte sich nicht mehr.
Selbst wenn sie offen wäre, bedeutete das noch lange nicht, dass jemand den Splitter finden würde; trotzdem machte sie der Gedanke, dass etwas derart Wichtiges ungeschützt und für jedermann zugänglich dort herumliegen könnte, nervös.
Er war dort nicht sicher.
Sie zögerte nur einen Moment, bevor sie sich umwandte und mit nun zügigeren Schritten als auf dem Hinweg zu dem kleinen, verfallenen Gebäude zurücklief. Falls irgendeiner der wenigen Krämer oder Reisenden die schlanke, von einem dunklen Umhang verhüllte Gestalt sah, die in exakt dieselbe Richtung zurückeilte, aus der sie gerade gekommen war, so zeigte er es nicht.
Ein Gefühl großer Dringlichkeit baute sich in ihr auf. Der Splitter war nicht gut geschützt, und sie durfte nicht zulassen, dass er Akvan, Beauregard oder Regalado, die es womöglich alle auf ihn abgesehen hatten, in die Hände fiel.
Vielleicht sollte sie ein anderes Versteck in der Kammer für ihn finden. Eine verschließbare Truhe? Oder …
Victoria war inzwischen bei dem verborgenen Gang hinter dem Beichtstuhl angelangt. Vorsichtig sprang sie über die mittlere Stufe hinweg, dann huschte sie lautlos den kurzen, mit Ikonen dekorierten Korridor entlang, bevor sie die raffinierte Vorrichtung in dem Mauerwerk bediente, um so die Wendeltreppe freizulegen.
Die Tür glitt lautlos zur Seite, und Victoria lief, beseelt von dem Wunsch, die Asservatenkammer zu erreichen und nach dem Splitter zu sehen, die engen Stufen hinunter. Sie musste sich unbedingt vergewissern, dass er noch immer in seiner dunklen Ecke verborgen war.
Morgen würde sie Wayren von ihm erzählen, aber -
Jemand stand am Brunnen.
Im Dämmerlicht des Hauptsaals tauchte er, den Blick nach unten gerichtet, die Finger in das funkelnde Weihwasser. Genau wie vor etwa zwanzig Minuten, als sie das Konsilium verlassen hatte, erhellte nur eine einzige Wandfackel den Raum, aber dennoch erkannte sie ihn. Selbst von hinten.
Unmöglich.
Andererseits … vielleicht auch wieder nicht.
Er musste ihre Gegenwart gespürt haben, denn er drehte sich mit einem für ihn uncharakteristisch fassungslosen Ausdruck auf seinem anziehenden Gesicht zu ihr um.
Victoria ließ sich nicht anmerken, dass er sie genauso überrascht hatte. Stattdessen trat sie näher, wobei ihr nicht entging, wie er seine nasse Hand in sein weißes Hemd krallte.
»Und da wollte ich gerade die ganze Stadt auf den Kopf stellen,
um dich zu finden, obwohl ich einfach nur hier hätte warten müssen, bis du auftauchst. Was hast du hier zu suchen, Sebastian?«
Kapitel 13
In welchem unsere Heldin eine überraschende Entdeckung macht
E in verärgerter Ausdruck zuckte über Sebastians Gesicht, dann verschwand er so schnell, wie er gekommen war. Als er von dem Brunnen wegtrat, prangte auf seinem leichten Hemd der Abdruck seiner nassen Hand.
»Du bist viel früher zurückgekehrt, als ich erwartet hatte.« Wie schnell er sich von seinem Schock erholt hatte, bewies das neckische Lächeln, das er ihr nun schenkte. »Ich hätte vielleicht ein wenig länger warten sollen, bevor ich hier herunterkam; allerdings kann ich nicht gerade behaupten, dass ich es bedaure, dich nun endlich allein zu treffen. Schließlich war die letzte Nacht im Kerker zusammen mit Maximilian wohl kaum -«
»Antworte mir, Sebastian.« Victorias Herz begann überlaut zu pochen, und ihre bloße Überraschung wich blinder Panik, als sie mit einem Mal realisierte, was seine Anwesenheit bedeutete. Ihr Mund war so trocken geworden wie eine Erbse in der Sonne; ihre Finger zitterten, und Übelkeit krampfte ihr den Magen zusammen. Wie war das möglich? »Sag mir, dass du deinen
Großvater nicht hierher gebracht hast«, flüsterte sie mit einer Stimme, die ihr nicht zu gehören schien, während sie noch immer versuchte, mit ihrem schrecklichen Verdacht fertig zu werden. Er konnte das nicht getan haben.
Das Konsilium, ihr sicherer, geheimer Hafen, war entdeckt worden.
Nein. Nicht unter ihrer Aufsicht. Nicht nach zwei Jahrtausenden der Geheimhaltung.
Nein .
Victoria fühlte, wie Angst und Zorn - Regungen, die sie unter Kontrolle zu halten versucht hatte - sie nun übermannten und jeden klaren Gedanken vernebelten, während sie an Sebastian vorbeistürzte, um zu dem Lagerraum - und zu Wayrens Bibliothek - zu gelangen, bevor ihre Schätze geplündert werden
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