Das Buch der Vampire 03 - Blutrote Dämmerung
sie erinnerte sich nur zu gut an ihren letzten Besuch, als Max sich von hinten an sie herangeschlichen hatte. Nachdem sie die Lampe auf dem Tisch angezündet hatte, zog sie das Lederband mit seinem schwarz-blau gemaserten Anhänger aus ihrer Tasche.
Der größere Splitter lag noch immer auf dem zerschrammten Holztisch, wo sie ihn zurückgelassen hatte. Er schien nicht bewegt worden zu sein, und aus irgendeinem Grund besänftigte diese Erkenntnis die tief sitzende Sorge, die an ihr genagt hatte, seit sie aus ihrem Traum erwacht war. Der Splitter war in Sicherheit, und dasselbe galt nun auch für sein kleineres Gegenstück.
Als Victoria das Lederband auf die Tischplatte legte, trafen
die beiden Obsidianstücke mit einem dumpfen Klirren zusammen, und ein einzelner blauer Funke stob zwischen ihnen empor. Ein schwacher Geruch - so wie abgestandener Rauch, in den sich etwas Fauliges mischte - drang ihr in die Nase, doch verschwand er fast im selben Moment wieder, in dem der Funke erlosch.
Victoria schob den Anhänger ein Stück zur Seite, sodass sich die beiden Teile nicht länger berührten, dann streckte sie vorsichtig die Hand nach dem größeren Splitter aus. Ein scharfes Kribbeln jagte ihren Arm hinauf und breitete sich über ihre Schulterblätter aus.
Das Gefühl glich dem, das die Berührung des Anhängers bei ihr ausgelöst hatte, nur dass es viel stärker war - so stark, dass sie automatisch die Hand wegriss. Dann starrte sie den großen Splitter an, der wie ein Brocken schwarzen Glases vor ihr lag.
Der Obsidiankeil sah aus wie einer ihrer Pflöcke; es war wirklich ironisch, dass dieser Splitter, der etwas abgrundtief Böses verströmte, von derselben Form und Größe war wie die Waffen, mit denen sie das Böse bekämpfte.
Aber natürlich war Akvan, die Quelle dieses speziellen Bösen, kein Vampir. Ungeachtet der Tatsache, dass alle Dämonen von Luzifer erschaffen worden waren, lebten und starben sie auf unterschiedliche Weise; ganz egal, ob sie gefallene Engel aus einem anderen Zeitalter oder halb menschliche, Vampire genannte Dämonen waren. Dennoch war es interessant, dass dieser spezielle Splitter die Waffe eines Venators hätte sein können.
Was würde geschehen, wenn sie ihn mitnehmen und als Pflock verwenden würde? Was würde passieren, wenn sie diesen
Obsidiandolch in die Brust eines Vampirs stieße? Oder in Akvans?
Als Victoria nun mit der Hand über den glasartigen Sporn strich, fiel ihr auf, dass das Prickeln nachgelassen hatte. Es flogen auch keine Funken mehr, allerdings war der Splitter ganz leicht erwärmt.
Doch vielleicht kam das von der Reibung und der Eigenwärme ihrer Finger.
Plötzlich überlegte sie, ob es wohl das war, was Akvan von ihr gewollt hatte. Diesen Splitter. Dieses Stück seiner Macht.
Ein Stück jener Macht, die ihn auf die Erde zurückgerufen hatte.
Es war möglich, sogar ziemlich wahrscheinlich. Falls er den Splitter zurückhaben wollte, welch bessere Methode konnte es geben, als ihr seine Gefolgsleute auf den Hals zu hetzen?
Zuerst hatte er Sara Regalado und ihre Spießgesellen ausgeschickt, um sie in jener Karnevalsnacht auf den Friedhof zu locken. Sie hatten nicht versucht, Victoria zu verletzen, sondern wollten sie lediglich in ihre Gewalt bringen. Vielleicht hatten sie vorgehabt, sie in die Villa und zu Akvan zu schaffen, damit dieser ihr befehlen konnte, den Splitter zurückzugeben.
Aber woher wusste er überhaupt, dass sie ihn hatte?
Niemand außer Wayren, Ilias und Ylito ahnte, dass sie ihn gefunden hatte. Selbst Max nicht.
Es gab niemanden sonst, mit Ausnahme von -
Victoria wurde kalt; dann erzitterte sie unter einem Ansturm heißen Zorns.
Sebastian wusste Bescheid.
Sebastian hatte sie mit dem Splitter in der Hand gesehen,
als sie in der Nacht von Eustacias Tod aus dem brennenden Opernhaus geflüchtet waren.
Sie richtete sich gerade auf und tastete unwillkürlich nach dem Pflock unter ihrem Kleid.
Die Sonne musste inzwischen untergegangen sein, und sie würde jetzt die Straßen nach jemandem durchkämmen, der Beauregard oder Sebastian eine Nachricht überbringen konnte. Andernfalls würde sie sie selbst aufsuchen.
Sie hatte ihre erste Chance, mit Sebastian zu sprechen und ihn nach dem Armband ihrer Tante zu fragen, vertan. Nun hatte sie gleich zwei gute Gründe, ihn aufzuspüren.
Sie würde herausfinden, ob das gesamte Szenario in der Villa Palombara eine von Sebastian und seinem Großvater erdachte Farce gewesen war, um ihr den Splitter
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