Das Buch der Vampire 04 - Brennendes Zwielicht
den nackten Füßen eben ging, hatte der Tross des Königs bereits die Brücke erreicht. Menschenmassen stürmten auf die Kutsche zu, und sie hörte panische Schreie aus den R eihen der Prozession.
»Zusammenbleiben! Bei Gott, zusammenbleiben!«
Sie erkannte die Stimme des Königs, der seinen Leibwächtern Befehle zurief. Es war bekannt, dass er großen Menschenansammlungen gegenüber misstrauisch war, vor allem bei solchen, die außer Kontrolle zu geraten drohten; denn er wollte keine Wiederholung der Schrecken, denen die königliche Familie während der Französischen R evolution ausgeliefert gewesen war. Das war ihm in diesem Fall nicht anzukreiden; denn dieser Ort aus eng zusammenstehenden, hoch aufragenden Häusern, die eine schmale Brücke ins Dunkel tauchten, und die herandrängende Menschenmenge hätten jeden nervös gemacht – besonders jemanden wie sie selbst, die wusste, dass es nicht nur Sterbliche waren, vor denen man auf der Hut sein musste.
Victoria eilte auf die Menge zu, wobei ihr Steine und scharfkantige Ziegel in die Füße schnitten. Sie sah, dass die Kutsche des Königs gerade in Richtung Brücke schwenkte, um sie zu überqueren. Der Pöbel war zurückgedrängt worden, und die Kutsche fuhr auf die Brücke. Sogar von der Stelle aus, wo Victoria stand, konnte sie das Knacken und Knarren der Bohlen hören, als die königliche Kalesche darüber hinwegrumpelte.
Aber es waren keine rot schimmernden Augen zu sehen, weder auf noch unter der Brücke. Sie spürte auch die Kälte im Nacken nicht mehr und obwohl sie völlig durchnässt war, war ihr auch ansonsten nicht kalt. Es war eine warme Nacht, und der schmierige, stinkende Morast, der an ihr klebte, hatte bereits angefangen, auf ihrer Haut zu trocknen.
Als die Kutsche fast die andere Seite der Brücke erreicht hatte, merkte Victoria, dass jemand hinter ihr aufgetaucht war, und hörte die langen, tiefen Atemzüge eines Menschen, der sich verausgabt hatte. Sie drehte sich um und sah einen tropfnassen Max, der genau wie sie die Kutsche beim Überqueren des Kanals beobachtete.
»In Sicherheit«, murmelte er.
»Ich kann schwimmen«, fuhr sie ihn an. »Sogar mit Kleid. Ich brauchte deine Hilfe nicht.«
»Ich habe vom König gesprochen, Victoria. Er ist in Sicherheit. Wir können jetzt nach Hause gehen.«
Verärgert presste sie die Lippen aufeinander und schaute weiter zur Brücke hinüber. Nachdem der König die Brücke überquert hatte, begann die Menge sich zu verstreuen. Die Gefahr schien vorüber zu sein, denn der restliche Weg zum Carleton House würde durch gut beleuchtete, sichere Gegenden führen. Und es war auch nicht mehr weit.
Dann sah sie eine vertraute Gestalt auf sich zugelaufen kommen. Er war nicht nass.
»Alles in Ordnung, Victoria?«, fragte Sebastian, als er vor ihr stand. »Sie sind weg. Die, die wir nicht erwischt haben, sind weggelaufen.« Er sah Max an. »Ein bisschen nass geworden, Pesaro?«
»War erfrischend«, erwiderte Max. Dann nickte er kurz und ging davon.
Victoria drehte sich zu Sebastian um und war sich nur zu deutlich des Geruchs, der von ihr ausging, und der Steine, die sich in ihre nackten Füße bohrten, bewusst. »Ich muss das Pferd zurückbringen, das Barth für mich ausgeliehen hat.«
Er sah sie an. »Wirst du mir den Kopf abreißen, wenn ich vorschlage, dass du dich von Barth mit der Kutsche nach Hause bringen lässt, damit du aus deinen nassen Sachen rauskommst? Die Pferde gehören Brodebaugh. Kritanu und ich werden sie zurückbringen. Obwohl ich dir natürlich viel lieber beim Umziehen helfen würde …« Er legte den Kopf zur Seite, sodass der Mond hinter ihm nicht mehr zu sehen war. Im Laufe der letzten Woche war das letzte Viertel hinzugekommen, sodass er jetzt strahlend hell leuchtete und Sebastians Locken silbern überhauchte. »… aber das werde ich wohl lieber auf heute Abend verschieben.«
»Ich stinke ziemlich übel«, stimmte Victoria ihm zu. »Ich denke mal, dass das Kanalwasser nicht viel sauberer ist als das in den Abwasserkanälen.«
»Da hast du wohl R echt.« Sie mussten beide kichern, und Sebastian trat dichter zu ihr hin, um sie zu küssen. Dann überlegte er es sich aber doch anders und richtete sich auf. Ein schiefes Lächeln verzog seine Mundwinkel. »Dann gute Nacht, Victoria«, sagte er, und es schwang so etwas wie Bedauern in seiner Stimme mit.
Sie spürte, dass sein Blick auf ihr ruhte, als sie davonging.
Victorias Haut juckte vom getrockneten Schlamm des Kanals, und auch
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