Das Buch der Vampire 04 - Brennendes Zwielicht
vergangen sind, aber … nun ja, er schien während der Feier auf Claythorne doch sehr von dir eingenommen zu sein, und du schienst auch nicht abgeneigt. Als er dir dann nach Italien folgte, dachte ich …«
»Nein, wirklich nicht«, erwiderte Victoria freundlich. Das einzig Unangenehme an Mr. Starcasset war, dass er sich während dieser bewussten Feier in ihr Schlafzimmer geschlichen hatte – nachdem Vampire von ihm auf den Landsitz eingeladen worden waren. Ach ja, und dann noch, dass er vorgehabt hatte, sie mit Waffengewalt zu vergewaltigen, als sie einander in R om begegneten. Nein, eigentlich fand sie ihn nicht sonderlich unangenehm. Er erinnerte sie eher an eine lästige Mücke.
»Aber leider scheint es so, als sollte mein größter Wunsch nie in Erfüllung gehen … außer es gelingt dir, ihn dieser Italienerin abspenstig zu machen, für die er ein tendre entwickelt zu haben scheint.«
»Eine Italienerin?« Es gab nur einen Menschen, der das sein konnte. Victoria setzte ihre Tasse ab – der Tee war mittlerweile kalt, und sie hatte zu viel Zucker hineingetan.
»Signorina Sarafina R e galado«, sagte Gwen. »Wenn man einmal von der Tatsache absieht, dass sie meine Pläne durchkreuzt hat, dich zu meiner Schwägerin zu machen, kann ich sie eigentlich ganz gut leiden. Wenn auch ihr Englisch einiges zu wünschen übrig lässt, so hat sie doch einen sehr guten Geschmack in Sachen Mode. Sie war mir eine große Hilfe und ein Segen bei der Zusammenstellung meiner Aussteuer.« Wenn das eine versteckte Kritik wegen Victorias Unaufmerksamkeit gewesen sein sollte, so wurde diese Annahme gleich durch das Funkeln in den Augen ihrer Freundin Lügen gestraft.
Victoria zog die Augenbrauen hoch und griff nach einem Zitronenkeks. »Ein Segen« wäre nicht unbedingt das Wort gewesen, das sie benutzt hätte, um Sara R egalado zu beschreiben. Aber Gwen hatte wirklich R echt – Sara hatte eine große Vorliebe für Mode; Gespräche darüber, welche Spitze zu welchem Kleid passte, über neue Stoffe und Saumlängen machten den größten Teil der Unterhaltungen mit ihr aus. Und darüber hinaus schien die Dame Verlobte schneller zu sammeln als Schuhe. Vor weniger als einem Jahr war sie noch mit Max verlobt gewesen.
Angeblich.
Victoria hatte nie aus Max herausbekommen können, ob er die Verlobung nur arrangiert hatte, um von der Tutela akzeptiert zu werden, oder ob es eine echte Verlobung gewesen war. Es war außerordentlich wichtig für ihn gewesen, so zu tun, als ob er der Tutela und auch Nedas vollkommen ergeben wäre, um in den engsten Kreis der Vampire vorzudringen und so nahe genug an den dämonischen Obelisken heranzukommen, damit er ihn zerstören konnte. Er hatte sogar das Undenkbare tun müssen, um akzeptiert zu werden … er hatte Tante Eustacia getötet. Unter diesen Umständen sollte es Victoria eigentlich nicht weiter überraschen, wenn er so weit ging, sich mit einer Frau zu verloben, die der Tutela angehörte … aber wie weit wäre er noch gegangen?
Das eine Mal, als sie ihn mit der Frage bedrängt hatte, ob er Sara wirklich geheiratet hätte, war Max’ Antwort gewesen: »Wenn das notwendig gewesen wäre, hätte ich es getan.«
Victoria hatte Max eigentlich nie gefragt, ob er seine Verlobte liebte – in dem Falle hätte er am Boden zerstört sein müssen, als Saras Vater, der Anführer der Tutela, in einen Vampir verwandelt worden war.
Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass bewusste Dame offenbar die Gesellschaft und Aufmerksamkeit der Vampire genoss. Victoria hatte den frischgebackenen Untoten, Conte R egalado, vor ein paar Monaten eigenhändig gepfählt, als dieser angefangen hatte, Lady Melly zu umwerben. Aber es würde sie nicht weiter wundern, wenn Sarafina den Platz ihres Vaters eingenommen hätte – entweder als Anführerin der Tutela oder als Vampir.
Und jetzt war Sara in London … angeblich als George Starcassets Verlobte.
Und Briyani war in einer Vampirhöhle gefunden worden. In London.
Das konnte kein Zufall sein.
Wegen ihrer nächtlichen Patrouillengänge durch die Straßen Londons, um Untote aufzuspüren, war Victoria selten während des Tages unterwegs. Normalerweise nutzte sie einen Großteil der Sonnenstunden, um Schlaf nachzuholen, ihr Kampftraining mit Kritanu zu absolvieren und ihrer Mutter aus dem Weg zu gehen. Doch heute musste sie erscheinen.
Komischerweise lebte die Crème der Londoner Gesellschaft nach dem gleichen Rhythmus wie ein Venator – alle schliefen bis tief in den Tag
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