Das Buch der Vampire 04 - Brennendes Zwielicht
krachte auf den Boden, und ihr Kopf knallte gegen einen Stein.
Jemand rollte sie in das Netz ein, und plötzlich konnte sie sich nicht mehr bewegen. Sie schrie, hoffte, dass jemand – Max, Verbena, Kritanu – irgendjemand sie hörte.
Etwas Dunkles legte sich über ihren Kopf, erstickte ihre Stimme und ließ sie um Luft ringen. Dann wurde sie wie ein Paket hochgenommen. Der dicke Stoff legte sich fester über ihr Gesicht, verschloss Mund und Nase, sodass sie um jeden Atemzug ringen musste. Sie drehte und wand sich … der rote Schleier verblasste, ihr Bewusstsein schwand, und dann wusste sie nichts mehr.
Als Victoria wieder zu sich kam, stellte sie fest, dass sie auf einem harten Holzstuhl saß. Man hatte ihr die Hände auf den R ücken gebunden, und sie war nach vorn gesackt. Sie fiel nur deshalb nicht vom Stuhl, weil ihre gefesselten Arme hinter der R ückenlehne lagen. Sie taten weh, und ihre Finger waren kalt und taub. Ihre Beine, die an der Querleiste festgebunden waren, befanden sich in einem ähnlichen Zustand.
Sie war nicht allein. Sie lauschte mit geschlossenen Augen. Es dauerte nur einen Moment, bis sie erkannte, dass sie in der Zusammenkunft von Goodwin und dem Friedensrichter aufgewacht war. Das war wohl ihre Vernehmung.
Sie war ganz durcheinander und wusste nur wenig darüber, inwieweit die Bow Street R unner mit dem Magistrat zusammenarbeiteten. Aber sie wusste, dass es nur wenige ehrliche Richter gab. Und noch weniger ehrliche Bow Street R unner. Was ihre Sorge kein bisschen geringer werden ließ.
»Ich finde Ihre Beweise gegen Lady R ockley sehr überzeugend, Mr. Goodwin«, ertönte eine Stimme, die wahrscheinlich dem Richter gehörte.
»Die Frau ist außerordentlich stark«, ergriff nun Goodwin das Wort. »Man wird sie in Ketten transportieren müssen, und niemand sollte davon erfahren. Sie hat ein paar sehr fähige Freunde.«
Victorias Mund wurde ganz trocken. In Ketten? Gütiger Himmel. Aber man würde sie doch bestimmt vor ein ordentliches Gericht stellen. Und bis dahin hätten dann auch Max, Sebastian und Lady Melly …
Aber wusste denn überhaupt jemand, wo sie war?
Barth und Oliver würden es wissen. Schließlich wurde Goodwin immer noch von ihnen beschattet. Oder zumindest würden sie es sich denken können, was mit ihr passiert war.
Sie hob den Kopf. Er pochte so stark, dass auch die anderen es eigentlich hören mussten. »Wer erstattet Anzeige gegen mich?«, fragte sie. Ihre Stimme … sie erkannte sie gar nicht wieder. Sie war … tief, belegt, rau. Ein Zittern ging durch ihre Arme, und sie zerrte an den Fesseln, als die Wut von ihrem ganzen Körper Besitz ergriff. »Jemand muss Anzeige gegen mich erstatten.«
Das zumindest wusste sie über Verbrechen und Strafe in London. Ein Opfer oder Familienmitglied musste Anzeige erstatten, damit ein Fall vor Gericht kam. Es gab keine Stellvertreter oder Staatsanwälte, nur die breite Öffentlichkeit.
»Ah, sie ist wieder bei uns.« Goodwins Gesicht tauchte vor ihr auf. Durch den roten Nebel konnte sie es nur verschwommen sehen. Sein Atem roch nach Ale.
»Wer zeigt mich an?«
»Ich erstatte Anzeige gegen Sie«, erwiderte Goodwin.
»Sie?« Victoria zwinkerte heftig, um wieder richtig sehen zu können. Ihre Gedanken jagten sich. »Warum?«
Er wandte ihr sein Gesicht zu. Seine lange, spitze Nase glänzte, und seine Augen waren dunkel vor Abscheu. »Mein Bruder. Sie haben meinen Bruder umgebracht.«
»Ihren Bruder? Wer ist Ihr Bruder?«, wollte Victoria wissen. »Ich habe niemanden umgebracht.«
Ein lauter Knall ertönte. Ein Hammer war auf Holz geschlagen worden. »Bringen Sie die Gefangene nach Newgate. Ich beraume für morgen eine Gerichtsverhandlung an.« Die Stimme des Richters triefte vor Bösartigkeit. »Der beisitzende Richter steht in meiner Schuld und wird die Sache in diesem Fall gern beschleunigen.«
Morgen?
Victoria hob den Kopf, um Einspruch zu erheben, aber da schlug etwas Hartes gegen ihre Wange. Ihr Kopf wurde so heftig nach hinten gerissen, dass der Stuhl ins Wanken geriet.
»Ich habe kein Mitleid mit Mörderinnen … vor allem nicht mit solchen, die ihre Opfer erst verstümmeln und dann töten.« Goodwins nach Ale stinkender Atem wehte ihr heiß ins Gesicht, als er sich über sie beugte. Seine Augen glitzerten triumphierend. »Sie aufschlitzen und in Stücke schneiden. Was haben Sie mit Ihrem Ehemann gemacht, Lady R ockley?«
Ihre Wange brannte, und der Raum schwankte, trotzdem richtete sie den Blick fest auf
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