Das Buch der Vampire 04 - Brennendes Zwielicht
ihn. »Ich habe nichts Falsches getan.«
Goodwin richtete sich triumphierend auf. »Unschuldsbeteuerungen – aber natürlich. Sie haben Ihre Kraft und Macht eingesetzt, um zu tun, was immer Ihnen in den Sinn kommt … doch dafür werden Sie jetzt bezahlen. Sie werden an Ihrem bezaubernden Hals aufgehängt werden, meine Liebe.«
Darauf hätte sie wieder etwas erwidert, wäre ihr nicht in dem Moment erneut die schwarze Kapuze über den Kopf gestülpt worden. Als sie einatmete, legte sich der Stoff noch fester auf ihr Gesicht und drückte sich gegen Mund und Nase. Victoria versuchte, die Kapuze abzuschütteln, aber irgendetwas legte sich um ihren Hals, sodass die Kapuze nicht mehr verrutschen konnte.
Sie hörte das Klirren einer Kette. Ihre Arme wurden von der R ückenlehne gelöst, und sie fiel benommen nach vorn, obwohl sie immer noch mit den Beinen am Stuhl festgebunden war. Als sie auf dem Boden aufschlug, merkte sie, dass die Fesseln an ihren Händen jetzt lockerer saßen. Irgendjemand trat neben sie. Sie spürte ein Bein oder Knie, das seitlich gegen ihre Hüfte stieß, und das Klirren war jetzt lauter.
Victoria holte so tief Luft, wie es der schwere Stoff zuließ, dann ließ sie sich auf Gesicht und Schultern fallen und holte mit den Beinen Schwung. Sie hob den wuchtigen Stuhl an und riss die Hacken Richtung Hinterkopf. Die Wucht der Bewegung ließ den Stuhl gegen den Mann krachen, der neben ihr kniete, und sie hörte – und spürte, wie er in Stücke ging. Zerbrochenes Holz regnete auf sie herab. Goodwin stöhnte, als er zu Boden sackte und schwer gegen sie fiel.
Victoria, die immer noch um Luft rang, zerrte an den Seilen, die ihre Handgelenke zusammenhielten, und begann sie zu lösen. Irgendjemand brüllte, und sie hörte schnelle, schwere Bewegungen im Raum. Plötzlich gelang es ihr, die eine Faust herauszureißen, und mit der begann sie an der Kapuze und der Schnur zu ziehen.
Etwas traf sie zwischen den Schulterblättern, und sie stürzte mit dem Gesicht zuerst auf etwas Warmes und Weiches – Goodwin, merkte sie schnell. Die andere Person im Raum, die sich bewegte, musste also der Richter sein. Jemand drückte sie nach unten und brüllte direkt in ihr Ohr um Hilfe. Den einen Arm konnte sie nicht bewegen, weil er auf dem R ücken nach oben gedrückt wurde – doch mit der Hand des anderen Armes konnte sie weiter am Band zerren, mit dem die Kapuze verzurrt war, bis es sich schließlich löste.
Sie stieß einen kehligen Schrei aus, riss sich die Kapuze herunter und atmete tief die frische, saubere Luft ein.
Und dann war sie bereit zu kämpfen.
Jetzt, wo sie wieder frei atmen und sehen konnte, war sie von ihrer Wut wie elektrisiert. Sie bewegte sich wie ein Blitz, rollte zur Seite und trat schnell und hart zu. Der Richter taumelte unter der Wucht ihres Angriffs zurück, und Victoria beugte sich nach vorn, um die Fesseln von ihren Knöcheln zu reißen. Nun fielen auch die Überreste des Stuhles auf den Boden, während sie hörte, wie sich von draußen schnell Schritte näherten.
Sie rappelte sich auf und sah, dass Goodwin sich unter dem zusammengebrochenen Stuhl hervorarbeitete, während der Mann, der wohl der Richter war, wieder hochzukommen versuchte. Das nächste Mal würde sie ihm einen härteren Schlag verpassen.
Victoria stürzte sich auf das dunkle Fenster und zerbrach die Scheibe mit der Kette, mit der sie hatte gefesselt werden sollen. Bis zur Erde war es nicht weit, doch als sie hindurch sprang, riss ihr eine Glasscherbe, die noch im Rahmen steckte, die Unterseite des Schenkels auf. Sie hörte gerade noch, wie die Tür des Zimmers aufgestoßen wurde, dann landete sie in einer sauberen Hocke und kam gleich wieder hoch. Die frische Nachtluft war wie Ambrosia, trotz des Gestanks nach Müll und anderem Unrat. Das Gebäude, aus dem sie geflüchtet war, befand sich in einer schmalen Straße; hätte sie zu viel Anlauf genommen, wäre sie womöglich gegen die gegenüberliegende Mauer gekracht.
Victoria schaute zum Nachthimmel auf und stellte fest, wie spät es schon war. Sie musste stundenlang bewusstlos gewesen sein. So lange hatte Goodwin wohl gebraucht, um einen Termin bei seinem korrupten Richter zu bekommen.
Sie zögerte, denn sie schwankte zwischen dem heftigen Verlangen, zurückzugehen und sowohl Goodwin als auch den Richter endgültig zu erledigen, und der Notwendigkeit zu verschwinden. Wenn sie floh, würden sie sie weiter verfolgen. Sie wusste es.
Eine Tür wurde geöffnet, und Licht
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