Das Buch der Vampire 04 - Brennendes Zwielicht
sehen, Lord R ockley«, säuselte Lady Melly. Als wäre sie die Gastgeberin, forderte sie ihn und die anderen dazu auf sich zu setzen. »Victoria und ich haben gerade übereinstimmend festgestellt, dass der September ein wundervoller Monat für eine Hoch – ähm!« Sie stöhnte auf und riss ihr Bein aus der R eichweite von Victorias spitzen Schuhen.
»Geht es Ihnen gut, Ma’am?«, fragte James.
»Oh ja, wirklich. Verzeihung, Mylord«, sagte sie. »Äh … das ist meine Arthritis. Ich weiß nie, wann es mich mal wieder kneift.« Sie warf Victoria einen finsteren Blick zu.
»Vielleicht solltest du nach Hause gehen und dich ein bisschen ausruhen, wenn die Schmerzen zu groß sind, Mama.« Ihre Tochter lächelte sie höflich an. Dann wandte sie sich an James. »Wie ich sehe, hat das Feuer Sie nicht nennenswert verletzt.«
»Ich hatte Glück. Und obwohl Sie nicht ganz ohne Verletzungen davongekommen sind, scheint es Ihnen heute besser zu gehen. Darüber bin ich froh.« Seine blauen Augen funkelten. »Ich hatte schon befürchtet, dass Sie zu geschwächt wären, um mich heute Abend zu begleiten.«
Victoria öffnete schon den Mund, um zu erklären, dass sie bereits wieder spürte, wie sich Kopfschmerzen ankündigten. Aber Lady Mellys durchdringende Stimme übertönte alles, was sie hätte sagen wollen, und verkündete, dass ihre Tochter über eine hervorragende Konstitution verfügte und sich von den Schrecknissen der vergangenen Nacht völlig erholt hätte.
Victoria erwog für einen Moment, noch lauter zu sprechen als ihre Mutter; allerdings wären ihre angeblichen Kopfschmerzen dann vermutlich nicht mehr sonderlich überzeugend gewesen.
»Eigentlich ist es ja unpassend nach den gestrigen Ereignissen, Lady R ockley«, meinte James, der nur aus Charme und Grübchen zu bestehen schien und mit Leichtigkeit Lady Melly übertönte. »Aber Mr. Starcasset und seine Freundin Miss R egalado haben mich eingeladen, sie zu begleiten. Sie sagen, dass es da einen Kometen gibt, den man heute Abend von einer bestimmten Stelle aus in der Nähe eines der Parks sehen könnte. Ich muss gestehen, dass ich nicht so recht weiß, ob mich Sternenbeobachtung überhaupt interessiert, aber ich hielt es für einen hervorragenden Vorwand, Sie zu fragen, ob Sie sich mir wohl heute Abend anschließen würden.«
Victoria schluckte die Absage, die ihr bereits auf der Zunge gelegen hatte, herunter. George und Sara hatten James eingeladen, sich ihnen zu einem abendlichen Ausritt anzuschließen? »Natürlich wäre es mir eine Ehre, Sie zu begleiten«, erwiderte sie und war sich bewusst, dass sie Lady Melly gerade überglücklich gemacht hatte.
Was konnte sich eine Mutter, die Verkupplungspläne schmiedete, mehr erhoffen? Victoria war sich sicher, dass Lady Melly sich gerade eine romantische Kutschfahrt im Mondschein vorstellte, während die R ealität wahrscheinlich deutlich ungemütlicher aussah. Eine List, eine Falle.
Doch wer war die gewünschte Beute: James … oder Victoria?
»Und wo ist dein Geliebter heute Abend?«, fragte Max. Sein Tonfall deutete an, dass er hoffte, Sebastians Erscheinen würde ihn endlich von der anstrengenden Verpflichtung befreien, sich mit Victoria unterhalten zu müssen. »Erzähl mir nicht, es hat eine Kabbelei unter Liebenden gegeben. Du wirkst etwas … besorgt.«
Besorgt war ein Wort, um die Verfassung zu beschreiben, in der Victoria sich befand, aber es war nicht das, das sie gewählt hätte.
Das Dinner lag bereits hinter ihnen, und sie hatten sich in den einzigen Salon, den es in diesem Stockwerk gab, zurückgezogen. Es war der kleine Salon, in dem sie Lady Melly und ihre Freundinnen empfangen hatte; und in dem die Gardella-Familienbibel aufbewahrt wurde. Als Tante Eustacia noch am Leben gewesen war und Victoria in die Welt der Venatoren eingeführt hatte, hatten sie zu dritt – oder viert, wenn Kritanu auch dabei war, und manchmal auch Wayren – hier häufig zusammengesessen.
»Es freut mich, dir mitteilen zu können, dass deine Pläne für meine Zukunft immer noch Bestand haben. Sebastian und ich tun überhaupt nichts anderes mehr, als uns schmachtende Blicke zuzuwerfen, beim Anblick des anderen in Verzückung zu geraten und Gedichte zu deklamieren, seit du unserem Bund deinen Segen gegeben hast.« Ihr Lächeln war süßer als die mit Puderzucker überstäubten Honigkekse, die Lady Winnie so gerne aß.
Max’ Lippen zuckten. »Ach, wenn ich doch nur dabei sein könnte, um es mit eigenen Augen zu sehen.
Weitere Kostenlose Bücher