Das Buch der Vampire 04 - Brennendes Zwielicht
streng gab, warum er meist so spröde und gefühllos wirkte. Das machte das, was sie vorhatte, umso schwerer. »Es war zwar furchtbar für mich, Phillip zu pfählen«, erklärte sie mit wehem Herzen, »aber der Gedanke, dass er nicht in der ewigen Hölle schmoren musste, weil er noch nicht das Blut eines Sterblichen getrunken hatte, machte es mir wiederum leicht.«
»Wie wahr.«
»Trotzdem«, fuhr sie fort und wiederholte seine eigenen Worte, »bist du nie von der Entscheidung abgekommen, Jagd auf Vampire zu machen, obwohl du … wir … wissen, welches Schicksal auf sie wartet.«
»Nein. Denn welche Wahl hätten wir denn sonst? Wenn wir sie nicht pfählen, uns nicht bemühen, ihnen ein Ende zu machen, was würde dann aus den Menschen werden? Sie sind stärker und schneller als wir, sie sind unsterblich, und ihr Instinkt – ihr Überlebenswille – treibt sie dazu, sich das, was sie brauchen, von den Menschen zu holen. Wenn wir nichts täten, wenn alle – oder auch nur viele – Venatoren ihre Berufung so wie Vioget ablehnen würden, dann würde es nicht lange dauern, bis die Unsterblichen die Macht übernehmen. Wir haben keine andere Wahl. Als Venatoren – besonders du als Gardella – haben wir die Berufung. Es ist unsere Pflicht und Verantwortung. Aber es steht uns nicht zu, darüber zu urteilen, ob die Untoten leben oder sterben sollten. Oder ob doch eine Hoffnung besteht, dass der Seele eines Untoten die Verdammnis erspart bleibt.«
»Gibt es diese Hoffnung?«
Er zuckte die Achseln. Tiefe Falten durchzogen sein Gesicht. »Ich lebe jeden Tag mit der Hoffnung, dass vielleicht …« Er schüttelte den Kopf, als könnte er dadurch wieder klarer denken. »Es steht uns nicht zu, unsere Berufung in Frage zu stellen.« Er sah Victoria an. Sein Blick wirkte trübe. »Wenn Phillip das Blut eines Sterblichen getrunken hätte, ehe du die Möglichkeit hattest, ihn zu pfählen, würdest du es dann auch noch getan haben … wohl wissend, dass du ihn damit zur Hölle schickst?«
Wie viele Male hatte sie sich genau diese Frage selbst gestellt? Unzählige Male im Laufe der letzten zwei Jahre. Manchmal hatte sie diese Frage aus unruhigem, wenn auch tiefem Schlaf gerissen, verschwitzt und mit pochendem Herzen, während ihre Finger einen unsichtbaren Pflock umklammerten. Sie kannte die Antwort.
»Ja.«
Max nickte. »Und das ist der Unterschied zwischen dir und mir – und Vioget. Wir erfüllen die uns von Gott gegebene Aufgabe, egal wie schwierig oder schmerzhaft es sein mag.« Er hob sein Glas, um daraus zu trinken, hielt aber mitten in der Bewegung inne.
Ihre Blicke begegneten sich, und in dem Moment, ganz plötzlich, begriff er. »Gütiger Gott, das hast du nicht getan.« Wankend kam er hoch. Wut verdunkelte sein Gesicht, eine Wut, wie sie sie noch nie bei ihm gesehen hatte. Sein Gesicht sah aus, als wäre es aus Stein gemeißelt.
Ihr Magen fing heftig zu schmerzen an, als auch sie selbst sich langsam erhob. Die Schuldgefühle standen ihr deutlich ins Gesicht geschrieben. Sie schwieg. Ihr fehlten die Worte.
Er wollte sich auf sie stürzen, doch das schnell wirkende salvi ließ ihn taumeln, und er stieß gegen den Tisch. Die Gläser klirrten unheilvoll. »Warum?« Seine Brust bewegte sich ruckartig auf und ab, als wäre er stundenlang gelaufen.
Sie konnte nicht antworten, ihr Mund war völlig ausgetrocknet. Sie konnte kaum schlucken, und ihre Zunge schien am Gaumen festgeklebt zu sein.
Max holte aus, um sie zu schlagen. Aber er bewegte sich ungeschickt und langsam, sodass sie keinerlei Schwierigkeiten hatte, sich außer R eichweite seiner starken Hände zu begeben. »Was machst du heute Nacht? Wo gehst du hin?« Seine Aussprache war undeutlich. Salvi – einmal eingenommen – wirkte schnell.
Victoria schüttelte den Kopf. »Max, ich wollte …«
»Mein Gott, Victoria …« Seine Stimme wurde leiser und schwächer, und als er sich abwandte, wankte er leicht. »Das werde ich … dir nie … vergeben …«
Sein stolzer Körper sackte in sich zusammen, und sie sah, wie sich seine Hände zu Fäusten ballten. Er fiel förmlich in den Sessel, aus dem er sich eben erhoben hatte. Durch die Wucht der unkontrollierten Bewegung wurde dieser an die Wand geschoben.
Max schaute auf und bedachte sie mit einem letzten Blick, der voller Abscheu war, ehe er bewusstlos in sich zusammensank.
Kapitel 16
In dem der Marquis von Rockley sich eine Anstandsdame zulegt
D ie Nacht hatte noch genügend Wärme vom Tage gespeichert, um
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