Das Buch der Vampire 04 - Brennendes Zwielicht
die Seiten hinzuzufügen, die im Laufe der Jahrzehnte durch das Anwachsen des Familienstammbaumes dazukamen. Victoria blätterte die steifen, bräunlichen Seiten vorsichtig um. Sie knisterten wie ein sanft brennendes Feuer. Auf manchen Seiten waren Bilder, verblassende Schrift auf anderen. Zeile um Zeile waren die Seiten damit gefüllt. Kunstvolle Verzierungen, Muster und Illustrationen in vergilbten Farben schmückten die Initialen jedes Buches der Bibel.
Sie blätterte wieder an den Anfang zurück und las die Liste der Venatoren durch. Catherin Victoria Gardella. Das Bild eines lebhaften R otschopfs mit einem auffälligen Smaragdring und einem frechen Gesichtsausdruck kam ihr in den Sinn, und Victoria nickte kurz. Ja, sie hatte das Porträt in der Halle des Konsiliums in R om gesehen.
Ein anderer Name, verblasst und weiter oben auf der Liste, zog ihren Blick auf sich. R o samunde Joanna Gardella. Die Mystikerin, die während ihrer Jugend in einem Kloster Prophezeiungen niedergeschrieben hatte … ehe sie von ihrer Berufung zum Venator erfuhr.
Plötzlich fiel ihr etwas ein, und sie ging ans Ende der Liste zurück. »Sebastians Name steht gar nicht hier«, sagte sie und schaute zu Max auf.
»Meiner auch nicht.« Er nippte an seinem Glas und schluckte. »Die Liste da vorn in der Bibel beschränkt sich auf diejenigen, die in direkter Linie von Gardeleus abstammen, und in deren Adern reines Gardella-Blut fließt – so wie bei dir.«
Ein seltsamer Ausdruck huschte über sein Gesicht, und er hielt heftig blinzelnd inne. Victoria verkrampfte sich, doch dann fuhr er fort. »Ich glaube, am Ende des Buches befindet sich ein kompletter Stammbaum, der auch alle Venatoren mit weiter entfernten Verwandtschaftsbeziehungen – und diejenigen von uns, in deren Adern noch nicht einmal ein Tropfen Gardella-Blut fließt – enthält. Ich nehme an, dass du dort Zavier findest, und auch Brim und Michalas. Das habe ich zumindest gehört.«
»Ah ja.« Ein leichter Schauder lief ihr über den R ücken. Es würde jetzt nicht mehr lange dauern. »Wenn ich mir das Buch früher schon mal genauer angeschaut hätte, wüsste ich längst die Wahrheit über Sebastian; obwohl du und Tante Eustacia es ja vorgezogen haben, mich nicht einzuweihen.«
»Es gab keinen Anlass, dir davon zu erzählen.« Max nahm eine andere Sitzhaltung ein. »Und Vioget hätte ohnehin schon vor Jahren von der Liste gestrichen werden sollen.«
Victoria wusste, dass dies ihre letzte Unterhaltung über dieses Thema mit Max sein würde, und so schloss sie das Buch, um ihn anzuschauen. »Warum hasst du ihn so sehr?«
»Du fragst, weil du weißt, dass er mich verabscheut … und du fragst dich nun, welchen Grund ich für meine Feindseligkeit ihm gegenüber haben könnte. Ich weiß, dass er dir seine Sichtweise des Falls erzählt hat.«
»Es gibt keinen Fall, über den gerichtet wird, Max. Ich weiß, warum er dich … nicht mag und dass er dich für Giulias Tod verantwortlich macht – auch wenn sie durch seine Hand starb. Ich weiß aber auch, dass du dir den furchtbaren Fehler verziehen hast, weil du sie nicht in die Tutela eingeführt hast, um ihr Schaden zuzufügen. Du dachtest, du würdest ihr damit helfen, und hast hinterher alles getan, was in deiner Macht stand, um dafür zu büßen. Aber was ich eigentlich wissen will, ist, was dich an ihm so mit Abscheu erfüllt.«
Er sah sie an, und sie nahm all die Empfindungen, die ihn bewegten, in seinem Blick wahr. »Vioget hat die Berufung – das Blut, die angeborenen Fähigkeiten, ein Venator zu sein – und trotzdem wies er alles zurück. Jahrelang. Das kann ich ihm nicht verzeihen. Und ich verstehe es auch nicht.«
»Zuerst konnte ich das auch nicht. Aber dann habe ich begriffen, warum er den Antrieb verloren hatte, Vampire zu jagen. Auch mich lässt manchmal der Gedanke zögern, dass ich es bin, die ein Geschöpf, das – egal wie verabscheuungswürdig es geworden ist – einst ein Mensch war, der liebte und geliebt wurde, ewiger Verdammnis überantworte.«
»Trotzdem tust du es«, erwiderte Max mit ruhiger, fester Stimme. »Genau wie ich. Denn du musst, weil wir den Auftrag haben, die Menschen zu schützen. Meinst du etwa, mir wäre nicht bewusst, dass Giulia durch mich nicht nur in einen unsterblichen Halbdämon verwandelt wurde, sondern dass ich sie auch zu ewiger Verdammnis verurteilt habe? Ich muss jeden Tag mit diesem Wissen leben.«
Victoria schaute ihn an und erkannte, warum er sich nach außen so kalt und
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