Das Buch der Vampire 05 - Sanfte Finsternis
immer noch in der unteren Angel und wurde auf der anderen Seite von dem schweren Schloss gehalten, war jetzt aber kein Hindernis mehr. Man konnte darüber hinwegsteigen.
Victoria schnallte ihr Schwert vom Sattel ab und befestigte es mit Hilfe des Gürtels an ihrer Taille. Dann kletterte sie als Erste über die schrägen Gitterstäbe und benutzte Sebastians dargebotene Hand, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Während sie sich auf der anderen Seite zu Boden gleiten ließ, musterte sie das Mausoleum und schaute, ob sich irgendetwas bewegte.
Auf dem Friedhof war es ganz still. Nur die leisen Schritte der anderen waren zu hören, als diese zu ihr traten.
Victoria näherte sich dem Gebäude, und je dichter sie kam, desto mehr Einzelheiten konnte sie erkennen. Das Bauwerk war etwa ein halbes Stockwerk hoch, mit einem flach geneigten Spitzdach und schmucklosen Außenwänden. Das Mausoleum war vielleicht halb so groß wie eine Remise und wurde auf drei Seiten von Bäumen eingerahmt.
Der Boden unter ihren Füßen war weich und feucht und mit kleinen und größeren Steinen bedeckt. In den Boden eingelassene Ziegelsteine begrenzten Familiengräber, und an einigen Stellen waren Grassoden zu sehen. Je näher sie dem Gebäude kam, desto stärker wurde der Geruch der Dämonen, ohne jedoch alles andere zu überdecken. Sie bemerkte eine Bewegung in der Luft. Kein Windhauch, sondern irgendetwas anderes.
Dann sah sie es. Es befand sich über dem flach geneigten Dach des Mausoleums, nicht sehr hoch über ihrem Kopf: Schwaden von Nebel? Oder Rauch?
Nein, die Dunstschleier waren zu dunkel, um Nebel zu sein. Also vielleicht doch Rauch.
Die Kehle schnürte sich ihr zu, und sie musste schlucken.
Schwarze Wolkenfäden wanden sich zwischen den dunklen Bäumen, flossen wie Strähnen langen Haars über dem Mausoleum und zogen immer wieder Kreise.
Victoria blieb stehen und merkte, dass jemand direkt hinter ihr war. Sie drehte sich um und sah Sebastian, dessen Blick genau wie ihrer eben auf die Stelle über dem Dach des Mausoleums gerichtet war. Ihr Herz pochte laut, und sie griff nach seinem Arm, während sie darauf wartete, dass die anderen aufschlossen.
Als sie sich näherten, suchte Victoria im wabernden Licht Max' Blick. Auf seinem Gesicht lag der gleiche aufmerksame Ausdruck wie auf ihrem. »Was ist das?«, fragte sie, während sie ihn anschaute, die Frage jedoch an alle richtete.
Max schüttelte mit zusammengepressten Lippen den Kopf. Sebastian rückte näher an sie heran und murmelte: »Was immer das sein mag, es hat nichts mit Vampiren zu tun.«
Victoria schaute Brim an, dessen Blick wie gebannt auf die wirbelnden Dunstschleier über dem Dach gerichtet war. Mit knappen Worten wies sie ihn und Michalas an, in der einen Richtung um das Mausoleum zu gehen, während sie, Max und Sebastian auf der Suche nach einem Eingang die andere Richtung nahmen.
Sie fand ihn, zugewuchert von zwei Wacholderbüschen. Die Tür war über vier unebene, schmale Stufen erreichbar, die nach unten führten.
Victoria schaute zu dem schwarzen Wirbel über ihren Köpfen auf. Es schien irgendeine Art Nebel zu sein, denn die Schwaden hatten sich weder verändert, noch wirkten sie bedrohlich. Doch der Dunst waberte und wand sich weiter und war zwischen den Schatten der Bäume kaum zu erkennen. Er hing wie eine unheimliche Warnung über dem Dach und unter und zwischen den Zweigen.
Ein Schauer lief ihr über den Rücken. In den letzten zwei Jahren als Venator hatte sie es mit vielen Dämonen und Untoten zu tun gehabt, aber diese Erscheinung war beunruhigender als alles, was sie bis jetzt erlebt hatte - einerseits, weil es etwas Unbekanntes war, aber andererseits auch, weil sie wusste, dass es etwas mit Wayren zu tun hatte.
Neben ihr tauchte ein Schatten auf, und Victoria griff nach ihrem Schwert. Aber es waren nur Brim und Michalas, die einmal ums Mausoleum herumgegangen waren.
Sie bemerkte, dass auch Brims Hand an seinem Schwert lag.
Es herrschte eine seltsam angespannte Stille.
Victoria hob einen Fuß, um ihn auf die erste Stufe zu setzen, die nach unten ins Mausoleum führte, doch Sebastian legte seine Hand um ihren Arm und schob sich vor sie. Sie ließ es zu, ohne sich darüber zu ärgern, denn die Geste galt nicht ihr als Frau, sondern weil er sie liebte. Victoria folgte ihm.
In dem kleinen Bereich vor der Tür am Fuß der Treppe war nur Platz für eine Person, und so war Victoria gezwungen, auf der untersten Stufe stehen zu bleiben, sodass
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