Das Buch der Vampire 05 - Sanfte Finsternis
erreichten sie einen kleinen Friedhof am Rande eines Dorfes, wo alle Fenster dunkel waren.
Der Friedhof war von einem mit Spitzen bewehrten Eisenzaun eingefriedet, der an hohen gemauerten Pfeilern befestigt war. Unheimliches schwarzes Moos und Erde überzogen den einst kalkweißen Stein, der im fahlen Mondlicht nun nur noch stellenweise schimmerte. Mehrere Bäume am nördlichen Rand des Friedhofes warfen lange Schatten, die sich mit der aschgrauen Farbe der Grabsteine vermischten.
Thrush flog jetzt im Kreis, und zwar genauso leise wie die Fledermäuse, die um die Taube herum durch die Luft flitzten und tanzende Schatten auf die Pferde und deren Reiter warfen. Victoria trieb ihr Pferd auf der Suche nach dem Tor dichter an den Zaun heran. Myzas Verhalten zeigte deutlich, dass Wayren sich irgendwo in der Nähe befand. Die Taube hatte den Kopf gehoben, gurrte leise und wollte losfliegen.
Max ließ sie frei, und die weiße Taube hüpfte auf den tief hängenden Ast eines Baumes; wegen ihres verletzten Flügels hatte sie nicht genug Kraft, um über den Zaun hinwegzufliegen.
Während Victoria nach einem Einlass suchte, hörte sie, dass die anderen sich trennten und unterschiedliche Richtungen einschlugen — einige folgten ihr, andere ritten in der entgegengesetzten Richtung davon, um den Friedhof von der anderen Seite zu umrunden und sich dann wieder mit ihr zu treffen. Als sie an der westlichen Seite des Zaunes ankam, erblickte Victoria ein kleines Mausoleum, das tief im Schatten lag.
Ihre Nackenhaare stellten sich auf. Zwar war es nicht das Frösteln, das die Anwesenheit eines Vampirs bei ihr hervorrief, aber ein genauso unbehagliches Gefühl. Im gleichen Moment gelangte sie an ein kleines Tor zwischen zwei Pfeilern, das gerade breit genug war, um einen Mann durchzulassen, wenn er sich seitwärts hindurchschob.
Sie war bereits vom Pferd gestiegen, als Sebastian donnernd angaloppiert kam und sich leichtfüßig neben ihr aus dem Sattel schwang.
Ein kurzer Blick genügte, um zu erkennen, dass das Tor aufgebrochen oder darüber hinweg geklettert werden musste. Die oberen Enden der Gitterstäbe waren spitzer, als das für eine Verzierung nötig gewesen wäre. Sie sahen so aus, als würden sie mit Leichtigkeit Fleisch und sogar Knochen durchbohren, wenn genug Wucht dahintersteckte. Einfach das Tor aufzubrechen würde also vernünftiger sein.
Victoria und Sebastian waren gerade dabei, das Tor genauer in Augenschein zu nehmen, als Max und die anderen Venatoren, die den Friedhof umrundet hatten, zu ihnen stießen.
»Es gibt keinen anderen Eingang«, berichtete Max. »Es muss dieser hier sein. Sind Untote in der Nähe?«, fragte er, denn natürlich konnte er im Gegensatz zu den anderen die Gegenwart von Vampiren nicht mehr spüren.
»Nein«, erwiderte Victoria, die sich wieder vom Tor entfernte, um sich umzuschauen. Sie richtete den Blick auf das Mausoleum: Das flache, gedrungene Gebäude lag nur knapp fünfzig Meter weiter im Schatten einiger Bäume. »Da ist etwas... irgendetwas...« Ihre Stimme wurde immer leiser, und sie hielt inne, um Luft zu holen.
Nein.
Sie schnupperte wieder, und ihr Magen zog sich zusammen. Der Geruch des Bösen und des Todes konnte vom Duft nassen Torfs und Pferdeschweiß nicht ganz überdeckt werden.
Victoria schaute auf und begegnete Max' Blick. Dann sah sie Brim an. Der große, dunkelhäutige Mann, der seine vis bulla am Ende der einen Augenbraue trug, hatte den Kopf gehoben, als würde auch er etwas riechen. Er nickte und sah sie dann mit beinahe schwarz wirkenden Augen an.
Dämonen.
Nicht jeder Venator konnte die Gegenwart eines gefallenen Engels oder Dämons spüren, doch Victoria und Brim waren in der Lage, den bösen Odem, der sich unter anderen Gerüchen zu verstecken suchte, wahrzunehmen.
Neben ihren Pflöcken würden sie also auch Schwerter brauchen, denn Dämonen musste man köpfen, um sie endgültig zu vernichten. Um auf alle Situationen vorbereitet zu sein, hatten die Venatoren sich nicht nur mit Pflöcken bewaffnet, sondern hatten auch Pistolen und Schwerter dabei, die an ihren Sätteln befestigt waren.
Ein leises Kreischen ließ Victorias Blick zu Sebastian und Michalas schnellen, die mit Hilfe ihrer Venatorenkräfte dabei waren, ein Scharnier aus dem Mauerwerk zu lösen. Während sie drückten und zogen, knirschte und quietschte das lange nicht benutzte Tor. Als Brim, der Kräftigste von allen, dazukam, kreischte das Tor noch einmal leise und kippte dann fast um. Es hing
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