Das Buch der Vampire 05 - Sanfte Finsternis
erst jetzt, dass dieser den kleinen Vogel an seinen Körper drückte.
»Wer oder was war das?«, fragte Victoria. Sie spürte, dass Sebastian an ihr vorbeistrich und ihr kurz die Hand auf den Scheitel legte, als er zum nächsten Sessel humpelte.
Wayren ließ den Blick durch den Raum schweifen. Ihre sonst so gelassenen Gesichtszüge waren sehr ernst geworden. »Brim, Michalas, ihr seid zurückgekommen, um zu helfen. Ich danke euch. Und auch Sebastian.« Sie sah ihn ruhig an und nickte dann. »Ich danke euch allen.« Ihr Blick ruhte etwas länger auf ihm als nötig, dann schaute sie woanders hin. »Gefallene Engel.
Dämonen. Sie haben mich mitgenommen; aus welchem Grund, weiß ich nicht genau. Doch allein die Tatsache, dass sie es gewagt haben, mich anzufassen...« Ihre Augen wirkten einen Moment lang so farblos klar wie kühle Mondsteine, während ihre Stimme immer leiser wurde, bis sie ganz verklang.
Plötzlich tauchte sie aus ihrer Versunkenheit wieder auf. »Ich bin müde, Victoria, und jemand muss sich um deine Wunden kümmern. Und auch ihr anderen müsst verarztet werden und euch ausruhen. Ich bin hier in Sicherheit; und das wird auch so bleiben, bis wir uns ausgeruht haben.«
Victoria stand langsam auf. Dabei drückte sie Wayrens Hand, bis sie sie schließlich losließ. »Ich bin froh, dass du heute Nacht hier bleibst«, erklärte sie. »Wir werden alle viel ruhiger schlafen können.«
Der Arzneitrank, den Kritanu ihm gegeben hatte, linderte den Schmerz ein wenig, der Max' ganzen Körper erfasst hatte. Allerdings gefiel es ihm überhaupt nicht, zugeben zu müssen, dass er ihn brauchte; auch wenn es den Tatsachen entsprach.
Seine Muskeln zitterten, und die behandelten Verletzungen wollten einfach nicht aufhören zu nässen, während er sich frische Sachen anzog und dabei die ganze Zeit über Wayrens Ratschlag nachdachte.
Werde wieder ein Venator.
Wenn er diesem Rat folgte, würde er keine Arzneitränke mehr brauchen. Er würde nicht zur Seite treten müssen, um es einem stärkeren und gewandteren Vioget zu überlassen, einen Kameraden zu retten. Er würde keinen Grund haben wegzugehen.
Trotzdem ertrug er den Gedanken zu bleiben nicht.
Er konnte es noch nicht einmal, wenn er die Fähigkeiten zurückbekam, die ein Venator besaß. Er war voller Misstrauen gegen sich selbst. Wäre er stark genug, das Richtige zu tun?
Sie zu teilen?
Max spürte den aufsteigenden Dampf, als er das immer noch heiße Wasser in die Waschschüssel goss. Er spritzte sich Wasser ins Gesicht und auf die Brust und keuchte vor Schmerz, weil er sich zu heftig bewegt hatte. Kurz hielt er inne, um wieder zu Atem zu kommen.
Er hatte das Gesicht gerade in einem von Kritanus Handtüchern vergraben, dem ein angenehmer Zitronenduft entströmte, als es an der Tür klopfte. Der nervöse, rothaarige Dienstbote Oliver zuckte zusammen, als Max die Tür mit einem Ruck aufriss. Der Stallbursche, der ihm heute Abend bei seiner Rückkehr das Pferd abgenommen hatte, wurde offensichtlich auch für andere Aufgaben in dem kleinen Haushalt eingesetzt.
»Verzeihung, Sir, aber die Herrin wünscht, dass Sie sie aufwarten«, erklärte Oliver fast formvollendet.
Max sah ihn mit finsterer Miene an. »Die Herrin?« Wayren oder Victoria?
Oliver wirkte einen Moment lang verwirrt, dann fing er sich wieder und ergänzte: »Lady Rockley.« Offensichtlich hatte Wayren nicht den gleichen hohen Status in seinen Augen wie Victoria. Doch das überraschte eigentlich nicht weiter. Nur die Venatoren - und die Bösen — wussten, welche Fähigkeiten sie besaß.
Max knüllte das Handtuch zusammen und warf es auf den Tisch. Ein Zipfel landete im noch vollen Waschbecken. Verdammt noch mal. Konnte sie ihn nicht einfach in Ruhe lassen? Er holte sein letztes sauberes Hemd hervor und zog es sich über die immer noch feuchte Haut, sodass es an seinem ganzen Oberkörper festzukleben schien. Gerade als er den Kopf durch den Ausschnitt schob, hörte er den Mann noch sagen: »Sie erwartet Sie in ihrem Zimmer.«
Max erstarrte, und seine Finger krallten sich in den Hemd-stoff. »In ihrem Zimmer?«
Gütiger Himmel.
Dann konzentrierte er sich auf die wirbelnden Gedanken — und, verdammt, Bilder -, die diese Information hervorrief, und entschied sich für die ihm angenehmsten. Victorias Gesicht war kalkweiß gewesen und ihre Kleidung voller Blut. War sie vielleicht doch schwerer verletzt, als er gedacht hatte? Während des kurzen Beisammenseins im Salon hatte sie Wayrens Hand kein
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