Das Buch der Vampire 05 - Sanfte Finsternis
gefunden werden konnte, lautete die offizielle Version, der neue Rockley wäre unter mysteriösen Umständen verschwunden — eine Tatsache, die den Adel sowohl faszinierte als auch beunruhigte.
»Lässt Vioget dich warten? Er testet wahrscheinlich einen neuen Knoten für sein Halstuch.« Max klang äußerst gelangweilt.
Umständlich rückte Victoria den Schal aus Spitze zurecht, der rein gar nichts gegen einen kühlen Luftzug ausrichten würde — aber es war ein heißer, schwüler Abend Anfang August, und sie musste sich keine Sorgen machen, dass ihr kalt werden könnte. »Oh nein, Sebastian ist heute Abend nicht mein Begleiter.«
»Tatsächlich?«
Obwohl sie halb abgewandt von ihm stand, spürte Victoria, wie Max' Blick über sie glitt. Aus dem Augenwinkel sah sie seinen Gesichtsausdruck. Er war eindeutig ungehalten.
Sie war sich nicht sicher, ob es an ihrem Kleid lag oder daran, dass Sebastian sie nicht begleitete. Aber das spielte sowieso keine Rolle. Denn ein ungehaltener Max war genau das, was sie wollte.
»Tatsächlich.« Sie setzte sich in Richtung Tür in Bewegung. »Einen schönen Abend noch, Max.«
»Du hast doch bestimmt nicht vor, das Haus ohne Begleitung zu verlassen.«
Sie blieb stehen und warf ihm über die Schulter hinweg einen Blick zu. »Stellst du dich etwa freiwillig dafür zur Verfügung? Du müsstest dich allerdings umziehen...« Sie zog eine Braue hoch und sah ihn zweifelnd an. »Und du müsstest vielleicht sogar tanzen.«
»Wo ist Vioget? Was denkt der Idiot sich eigentlich dabei, dich allein ausgehen zu lassen?«
»Ah ja, der Mann sollte seine Interessen schützen, nicht wahr?«, erwiderte Victoria gelassen. Das war Max' Plan gewesen: Sie sollte mit Vioget zusammen sein - in jeder Hinsicht —, denn auch er war von Anfang an zum Venator bestimmt gewesen. Daher würde Sebastian Verständnis für ihr Doppelleben haben und sie bei ihrem Kampf gegen die Vampire unterstützen.
Max selbst war einer der furchteinflößendsten Venatoren gewesen, der sich diese Aufgabe aber selbst gestellt hatte und nicht wie die anderen Venatoren einer Berufung gefolgt war, die zum Erbe der Gardellas gehörte. Doch dann hatte er seiner Macht entsagt, um einen aufstrebenden Dämon zu vernichten, der Rom einzunehmen drohte.
Indem er auf seine Rolle als Venator verzichtete, hatte er auch den Bann gebrochen, den Lilith ihm vor Jahren auferlegt hatte. Er hatte sich von ihrem Einfluss befreit, aber sie war noch immer von Max besessen. Bestimmt würde sie ihn wieder verfolgen, wenn sie sich von der Schlappe erholt hatte, die Victoria und die anderen Venatoren ihr beigebracht hatten.
Doch eigentlich machte er sich nicht um sich selbst Sorgen, hatte Max in einem Moment der Schwäche gestanden, sondern um Victoria.
Und sie wird wieder hinter mir her sein, wieder und wieder. Und sie wird dich benutzen, Victoria. Sie wird dich benutzen, um an mich ranzukommen.
Ich wünschte, ich könnte dich einsperren, damit ich weiß, dass du in Sicherheit bist... aber ich weiß verdammt genau, dass das nicht möglich ist. Trotzdem, ich mache da nicht mit, ich mache das Ganze nicht noch schlimmer, als es sein muss. Ich kann das nicht.
Victoria war bei seinen Worten wütend geworden, weil sich das, was er sagte, für sie unlogisch anhörte. Sie hatte ihn einen Feigling genannt — ein Wort, von dem sie nie gedacht hätte, dass sie es jemals auf Max anwenden würde. Aber erstaunt hatte sie festgestellt, dass er sich nicht dagegen auflehnte. Sich geschlagen gab. Und ging.
Mit seinen letzten Worten hatte er ihre Beleidigung hingenommen und eingestanden, dass sie der Wahrheit entsprach.
Wenn es darum geht, dein Leben aufs Spiel zu setzen: Ja, ja, ja, verdammt noch mal, ja, dann bin ich ein Feigling. Ein verfluchter Feigling.
Und jetzt standen die beiden einander gegenüber. Zwei Wochen später. Eine Patt-Situation.
»Gute Nacht, Max«, sagte sie, öffnete die Tür und trat in die milde Abendluft hinaus. Die Kutsche stand bereits wartend vor der Tür, und der Lakai hielt den Schlag auf. Sie sah nicht zurück, als der Dienstbote ihr in das Gefährt half, aber sie spürte Max' Blick schwer in ihrem Rücken, als würde er direkt hinter ihr stehen und sie mit der Hand berühren.
Die Herzogin von Farnham wusste, wie man Feste feierte, und der ton nahm das nur allzu gerne auf. Auch wenn sie nur zu einem Tanzabend und nicht zu einem Ball geladen hatte, ging es doch sehr stilvoll und elegant zu. Und wenn die Herzogin zu einem
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