Das Buch der Vampire 05 - Sanfte Finsternis
Haar, das sie auch ihrer Tochter vererbt hatte, eine etwas kurvigere Figur und ein extrovertierteres Verhalten, was dafür gesorgt hatte, dass sich seit dem Tod ihres Gatten eine nicht geringe Anzahl von Bewunderern um sie bemüht hatte. Einer von ihnen war der Vampir gewesen, an den Herzogin Winnie sich in jener Nacht in Rom so unbeholfen herangepirscht hatte.
Victoria hatte der Herzogin damals diese Aufgabe abgenommen, indem sie den Conte Regalado mit eigener Hand tötete. Kurz danach hatte sie das goldene Medaillon ihrer Tante Eustacia benutzt, um bei Lady Melly, Herzogin Winnie und Lady Nilly die Erinnerung an diesen speziellen Vorfall auszulöschen.
»Ich?« Lady Melly machte ein Gesicht, als hätte Victoria ihr vorgeschlagen, sich die Haare grün zu färben. »Ganz bestimmt nicht. Und außerdem«, fügte sie schüchtern hinzu, während sie ihrem Kavalier einen Blick zuwarf, der auf der anderen Seite des Saales stand und sie nicht aus den Augen ließ, »hat Jellington bereits sechs Mal um mich angehalten. Sechs Mal.«
Victoria starrte sie mit großen Augen an. »Warum hast du denn nicht angenommen, um Himmels willen? Wir könnten längst deine Hochzeit planen.«
Melly gab Victoria einen kleinen Klaps mit ihrem zusammengelegten Fächer. »Aber es macht doch so viel mehr Spaß, deine zu planen, mein Liebling. Wie wäre es denn mit Mr. Killington? Du hast ja schon einen Titel, und er...«
»Hat keine Haare und einen so schlechten Atem, dass seine Zähne davon bestimmt verfaulen. Nein, danke, Mutter«, erwiderte Victoria und benutzte wieder die förmlichere Anrede.
»Mit Monsieur Vioget ist es dir doch nicht wirklich ernst, oder? Er hat dich nicht gefragt, ob du ihn heiratest, oder doch?« Mellys alptraumhafte Visionen erklommen immer größere Höhen - jetzt waren nicht mehr grüne Haare der Gipfel, sondern eher die Vorstellung, mit Kahlrasur und splitterfasernackt durch Almack's zu flitzen.
»Offen gestanden, er hat tatsächlich um mich angehalten«, erwiderte Victoria heiter. »Entschuldige bitte, Mutter. Ich glaube, ich sehe da...« Und ohne ihren Satz zu Ende zu bringen, eilte sie davon, ohne ein Grinsen unterdrücken zu können.
Um die Wahrheit zu sagen, Sebastian hatte eigentlich nie darum gebeten, dass sie ihn heiratete. Aber das kümmerte Victoria kein bisschen. Nach dem, was Phillip widerfahren war, der wie die meisten Menschen nichts von der Existenz von Vampiren wusste — und schon gar nicht, dass seine Frau ein Venator war -, hatte Victoria beschlossen, nie wieder zu heiraten. Sie brachte es einfach nicht übers Herz, einen Menschen, den sie liebte, in Gefahr zu bringen, wie sie es mit Phillip getan hatte; allerdings befanden sich Männer wie Sebastian und Max bereits auf Grund dessen, was sie waren, in Gefahr.
Genau wie sie.
Andererseits aber war ihr vor kurzem klar geworden, dass es als Iila Gardella und damit letztem Spross, der direkt von dem ersten Venator Gardeleus abstammte, ihre Pflicht war, diese direkte Linie fortzusetzen. Bestimmt gab es weit entfernte Familienmitglieder der Gardellas irgendwo auf der Welt, die auch ihrer Berufung als Venator folgten ... aber die mächtigsten, die Anführer der Vampirjäger, stammten immer in direkter Linie von Gardeleus ab. Tante Eustacia und ihr Bruder, Victorias Großvater, waren die beiden letzten direkten Nachkommen gewesen. Aber ihr Großvater hatte das Vermächtnis abgelehnt und seine Kräfte an Lady Melly weitergereicht, die sich ebenfalls dagegen entschieden hatte, ein Venator zu werden; sie lebte wieder in seliger Unkenntnis der Tatsache, dass es Vampire überhaupt gab.
Die Fähigkeiten zweier Generationen von Venatoren waren auf Victoria übergegangen, und jetzt, wo Tante Eustacia tot war, gab es nur noch Victoria.
»Victoria, da bist du ja! Wie hübsch du heute Abend aussiehst!«, rief Herzogin Winnie. Victoria musste blinzeln und fragte sich, warum sie sie nicht schon vorher bemerkt hatte, sondern fast in sie hineingelaufen wäre; denn die Herzogin trug ein ziemlich grelles, orangerotes Kleid. Damit stach sie wie eine Leuchtboje unter all den gedeckteren Rosa-, Blau- und Grüntönen der Kleider der anderen Damen hervor.
Und mitten auf dem gewaltigen Busen der Herzogin prangte ein ebenso gewaltiges Kruzifix aus Silber.
Victoria starrte den Anhänger an. Sie wusste, dass die Herzogin dafür bekannt war, Knoblauch und Kreuze zu tragen, um mögliche Vampirangriffe abzuwehren. Aber das hier war einfach absurd. Herzogin Winnie wusste wie
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