Das Buch der Verdammnis (German Edition)
Diese Erfahrung bestärkt mich in der Hoffnung, dass auch bei den Schwierigkeiten, die im Moment meinen Schreibprozess hemmen, diese Gruppe eine wertvolle Hilfe sein wird.“
Er machte eine Pause, sah in die Runde. Alle blickten ihn gespannt an. November schien diese Aufmerksamkeit zu genießen.
„Ich hatte das letzte Mal meinen Plot in groben Zügen erklärt. Und jetzt hat meine Geschichte eine neue, überraschende Wendung genommen. Eine Wendung, von der ich mich frage, ob sie nicht zu gewagt ist. Ich würde sie gerne hier zur Diskussion stellen.“
Er wartete einen Augenblick, sah mich an, wie wenn er auf mein Einverständnis wartete.
„Bitte“, sagte ich.
„ Ich hatte das letzte Mal erzählt, dass es sich bei meiner Geschichte um eine Liebesgeschichte handelt, die unerfüllte Liebe zwischen einem Künstler und dem Produkt seiner Fantasie. Eines Tages geschieht das Fantastische. Die Frau erwacht zum Leben und sie begegnen sich.“
November machte eine Pause.
„Es könnte nun das passieren, was immer nach der ersten Liebe passiert“, fuhr er fort. „Sie fangen an sich zu zerfleischen, der uralte Krieg der Geschlechter nimmt seinen Lauf.“
November lächelte. „Aber ich wollte mehr in die fantastische Richtung gehen. Es erweist sich, dass der Künstler ein Monster geschaffen hat. Und ich meine, ein Monster im wortwörtlichen Sinn, ein Ungeheuer. Der Künstler muss Angst haben, vernichtet zu werden.“
Ich lehnte mich zurück. Auf einmal war jede Angst von mir gewichen. Warum nur hatte mich dieses Kerlchen bei seinem ersten Auftauchen so beeindruckt, sodass ich in ihm sogar meinen alten Förderer Baretta vermutet hatte? Wie er erzählte, entpuppte er sich als ein Autor, wie ich viele vor ihm erlebt hatte. Sie schwafelten von der großen Idee, die sie hatten, eine ganz neue, originäre Idee, hatten riesige Angst, dass ihnen irgendwer diese Idee klauen könnte, sodass auf jedem Manuskript, das sie verfassten, in riesigen Lettern ihr Copyright prangte und leiteten ihre Ausführungen immer mit großen Vorreden ein, die mich in den Wahnsinn trieben. Und die Geschichte, die dann folgte, war nicht der erwartet große Sturm, der alles niederreißen würde, sondern ein matter Luftzug, der nach abgetragenen Socken stank.
„ Wir hatten ja das letzte Mal auch darüber gesprochen, wie wichtig die Charakterisierung der Hauptperson für eine spannende Geschichte ist. Ich habe mir in der vergangenen Woche einige Gedanken über meinen Hauptdarsteller gemacht und ich möchte, wenn Sie das erlauben, ihn hier kurz skizzieren.“
Er sah mich wieder erwartungsvoll an, als müsste er sich für jeden Satz meine Erlaubnis einholen. Ich nickte. Warum erzählte der Kerl nicht endlich seine Geschichte?
„Wie ich schon das letzte Mal angedeutet habe, ist der Held meiner Geschichte ein Schriftsteller. Ich weiß, was Sie denken, ein nicht sehr origineller Einfall. Aber mein Schriftsteller ist nicht der normale Schriftsteller, in dem sich der Schreiber von Geschichten spiegelt. Mein Autor hat ein großes Buch geschrieben. Ein literarisch sehr anspruchsvolles Werk, das von Kritikern hochgelobt wurde. Aber nun warten alle auf sein neues Werk, ein Werk, das, wie er selbst angekündigt hat, von bahnbrechender Qualität sein würde.
Doch mein Schriftsteller hat ein dunkles Geheimnis. Er spielt der Öffentlichkeit und seinen Kritikern, die auf sein neues Werk warten, nur etwas vor. Denn in Wirklichkeit ist er Autor von nichtswürdiger Schundliteratur, er ist der Autor einer Horrorreihe, die von minderbemittelten Lesern gierig verschlungen wird, die aber, man muss es so sagen, ein bedenkenswertes Zeugnis der Verkommenheit unserer geistigen Kultur darstellt.“
November machte eine Pause.
„ Und der Autor trägt eine Schuld mit sich. Denn es gab einen, der nicht einstimmte in den Chor derer, die ihn als einen großen Autor sahen. Es gab einen, der den Finger legte auf die Schwächen und Unzulänglichkeiten seines ersten Werkes und es war, als führte hier ein tragisches Schicksal Regie, den dieser eine war der Freund und Mentor des Autors. Und um sich zu rächen, dass es einen Aufrechten gab, der sich nur der Wahrheit verpflichtet fühlte, entwarf mein Autor in einen seiner Schundgeschichten ein Abbild dieses Kritikers, machte ihn zu einem kleinen, nichtswürdigen Schurken, machte ihn zum Personal seiner kleinen Horrorwelt, verdammt, in einem Gefängnis aus billigem Papier zu hausen.“
Während er erzählte, spürte ich, wie
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