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Das Buch der Verdammnis (German Edition)

Das Buch der Verdammnis (German Edition)

Titel: Das Buch der Verdammnis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Schuberth
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nicht zu dem Gesicht.
    „Du warst ja dabei“, sagte er.
    Er blickte mich immer noch an, jetzt wandte er sich dem Computerbildschirm zu und tippte etwas. Er hörte wieder auf und sah mich an.
    „Du wirst dich fragen, wie das ist. Gar nicht so schlecht, sage ich dir. Kein Hunger mehr, kein Durst, keine Gefühle. Wenn ich daran denke, wie ich früher besessen war, zu schreiben.“
    Er schüttelte den Kopf.
    „Aber das ist nur noch eine Erinnerung, glaub mir.“
    Er lachte wieder, es klang rau wie ein schmutziger Auswurf.
    „Aber meine Erinnerung ist messerscharf. Oh glaub mir, die Erinnerung ist messerscharf, wenn es keine Gefühle mehr gibt. Dann siehst du alles wie durch ein Laserauge. Du dringst bis in die kleinsten Einzelheiten vor. Ich kann jetzt Dinge beschreiben, die ich vorher nicht sah, nicht einmal ein Krümelchen davon habe ich damals gesehen.“
    Er nickte zufrieden vor sich hin. Hinter mir spürte ich einen Windhauch. Ich drehte mich um und sah, dass die Tür jetzt ganz offen war und erneut begann, sich langsam zu schließen. Als würde sie den nächsten arglosen Vorbeikommenden einladen, dies Zimmer zu betreten.
    Ich blickte wieder auf Bommer, der jetzt irgendetwas an seiner Jacke nestelte. Mit einem Ruck öffnete er sie und das klaffende Loch, wo einst sein Herz war, erschien.
    Ein modriger Gestank kam daraus, ich wich einen Schritt zurück.
    „Es braucht manchmal etwas Luft“, erklärte Bommer. Er atmete röchelnd ein paar Mal, dann schloss er die Jacke.
    Er sah mich wieder an.
    „Du solltest dir einmal ansehen, was ich da schreibe, Leon.“
    Es war das erste Mal, dass er mich mit meinem Namen ansprach. Er sah ins Leere und mir wurde kalt.
    „Ja, mich würde interessieren, was du so sagst. Zum Beispiel diese Seite.“
    Er drehte den Bildschirm, sodass ich darauf sehen konnte. Ich kam noch einen Schritt näher.
    Wieder war da dieser modrige Geruch. Ich blickte auf den Bildschirm.
    Auf der ganzen Seite wiederholte sich immer nur ein Satz:
    Zwischen den Zeilen leben wir wie Schatten, der Duft von Flieder im Frühling, wir haben ihn vergessen.
    Ich starrte auf die Schrift, ohne etwas zu sagen.
    Bommer sah sich zu mir um, seine Augen fanden meine, dann wandte er sich wieder dem Schirm zu.
    „ Vielleicht muss man etwas zurückgehen, damit du den Text besser verstehst.“
    Er scrollte eine Seite zurück, derselbe Text wie vorher, noch eine Seite, immer noch derselbe Text. Immer nur ein Satz, der dauernd wiederholt wurde:
    Zwischen den Zeilen leben wir wie Schatten, der Duft von Flieder im Frühling, wir haben ihn vergessen.
    Unten am Bildschirm war angezeigt, dass es sich um Hunderte von Seiten handelte. Und auf allen Seiten schien es nur diesen einen Satz zu geben.
    Bommer hatte mit dem Scrollen aufgehört. Er sah ratlos auf den Schirm.
    „ Vielleicht bräuchte ich mehr Variationen“, sagte er.
    Er blickte mich wieder an, als erwarte er eine Antwort.
    Ich schluckte „Variationen sind immer gut“, sagte ich.
    Es war das erste Mal, dass ich etwas sagte. Aber er schien mich nicht zu hören, oder die Worte erreichten ihn nicht. Er blickte wieder von mir zu dem Schirm.
    „Aber ich kann immer nur das Eine schreiben. Du weißt doch, ein Schriftsteller hat immer nur eine Geschichte, die er in Variationen niederschreibt. Das ist meine Geschichte.“
    Die Augen, die mich jetzt anstarrten, wirkten nicht mehr tot. Sie waren unendlich traurig.
    Ich hielt es nicht mehr aus. Langsam bewegte ich mich zur Tür.
    „ Du musst gehen, das verstehe ich“, sagte er. „Ich werde noch etwas an meinem Buch schreiben. Wenn du das nächste Mal kommst, werde ich sicher schon weiter sein. Du hast recht, ich sollte ein paar Variationen einbauen, das kann ja nicht so schwer sein.“
    Er verstummte. Ich hatte die Tür erreicht.
    „Du kommst mich doch wieder besuchen“, sagte er.
    Ich öffnete die Tür und verschwand. Auf dem Flur wurde ich schneller, bis ich die Treppen hinunterrannte und erst aufhörte zu rennen, als ich den Platz vor dem Verlag erreicht hatte.
     
    Als ich nach Hause kam, saß Gonzo mit einer fremden Frau am Küchentisch. Sie war groß, sie war dick und sie war so hässlich, dass jeder Schönheitschirurg an ihren Gesichtszügen verzweifelt wäre. Ich war so erschrocken von ihrem Anblick, dass ich an der Küchentür stehen blieb und stumm auf die Frau starrte, die sich jetzt von ihrem Stuhl hochhievte, sich dann zu mir wälzte und ihre Hand ausstreckte.
    "Leon", sagte Gonzo mit tonloser Stimme, "Das ist

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