Das Buch der verlorenen Dinge
benutzt hatte, um die Tiere davon fernzuhalten. Es war unmöglich festzustellen, welcher Baum derjenige mit dem verborgenen Übergang in Davids Welt war. Er lief ein wenig umher und versuchte, die Öffnung zu finden, durch die er gekommen war, doch alle Bäume sahen gleich aus, und alle hatten eine glatte, geschlossene Rinde. Es schien fast so, als wären die Löcher und Knubbel, die jeden einzelnen von den anderen unterschieden, gefüllt und geglättet worden, und der kleine Pfad, der hier zuvor durch den Wald geführt hatte, war spurlos verschwunden, sodass der Förster keine Orientierungsmöglichkeit mehr hatte. Sogar das Flugzeugwrack war nirgends mehr zu sehen, genau wie die Schneise, die es durch das Unterholz gerissen hatte. Diese ganzen Spuren zu beseitigen, dauerte Hunderte von Stunden, dachte David, und man brauchte unzählige Hände dafür. Wie war es möglich, so etwas in einer einzigen Nacht zu schaffen, und noch dazu ohne eine einzige Fußspur zu hinterlassen?
»Wer tut so etwas?«, fragte er.
»Ein Trickser«, sagte der Förster. »Ein krummer Mann, der krumme Dinger dreht.«
»Aber warum?«, fragte David. »Warum hat er nicht einfach die Schnur abgeschnitten, die du darum gebunden hattest? Das hätte doch genauso funktioniert, oder?«
Der Förster überlegte einen Moment, bevor er antwortete. »Ja«, sagte er, »aber das wäre nicht so amüsant für ihn gewesen, und es hätte nicht so eine gute Geschichte ergeben.«
»Eine Geschichte?«, sagte David. »Was meinst du damit?«
»Du bist Teil einer Geschichte«, sagte der Förster. »Er liebt es, Geschichten zu erschaffen. Er sammelt sie, um sie zu erzählen. Und das hier ergibt eine sehr gute Geschichte.«
»Aber wie komme ich jetzt nach Hause?«, fragte David. Nun, da ihm die Möglichkeit, in seine eigene Welt zurückzukehren, genommen war, wollte er plötzlich unbedingt dorthin, während er zuvor, als der Förster versucht hatte, ihn mehr oder weniger gegen seinen Willen nach Hause zurückzubringen, viel lieber in dem neuen Land geblieben wäre, um seine Mutter zu suchen. Es war alles höchst eigenartig.
»Er will nicht, dass du nach Hause gehst«, sagte der Förster.
»Ich habe ihm doch nie etwas getan«, sagte David. »Warum versucht er, mich hierzubehalten? Warum ist er so gemein?«
Der Förster schüttelte den Kopf. »Das weiß ich nicht.«
»Wer weiß es denn dann?« Fast hätte David gebrüllt, so frustriert war er. Allmählich wünschte er, es gäbe jemanden, der ein bisschen mehr wusste als der Förster. Der war ja ganz gut darin, Wölfe zu enthaupten und ungebetene Ratschläge zu erteilen, aber was die Entwicklungen in diesem Königreich betraf, schien er nicht besonders gut informiert zu sein.
»Der König«, sagte der Förster nach einigem Nachdenken. »Der König könnte es wissen.«
»Aber du hast doch gesagt, er hätte die Herrschaft über das Land verloren, und es hätte ihn seit langem niemand mehr gesehen.«
»Das bedeutet nicht, dass er nicht weiß, was hier vorgeht«, sagte der Förster. »Es heißt, der König habe ein Buch, das Buch der verlorenen Dinge. Es ist sein kostbarster Besitz. Er bewahrt es im Thronsaal seines Palastes auf, und niemand außer ihm darf darin lesen. Nach allem, was ich gehört habe, ist in diesem Buch das gesamte Wissen des Königs aufgezeichnet, und in Zeiten des Kummers oder Zweifels schlägt er es auf, um darin Rat zu suchen. Vielleicht enthält es auch eine Antwort auf die Frage, wie du nach Hause kommst.«
David versuchte, im Gesicht des Försters zu lesen. Er wusste nicht recht, warum, aber er hatte sehr deutlich das Gefühl, dass der Förster ihm nicht die ganze Wahrheit sagte, was den König betraf. Doch bevor David ihm weitere Fragen stellen konnte, warf der Förster den Sack mit Davids alten Kleidern ins Gebüsch und machte sich wieder auf den Weg, zurück in die Richtung, aus der sie gekommen waren.
»Eine Sache weniger, die wir auf der Reise mitschleppen müssen«, sagte er. »Wir haben einen langen Weg vor uns.«
Mit einem letzten, sehnsüchtigen Blick auf den Wald aus gleichförmigen Bäumen drehte David sich um und folgte dem Förster zurück zu dem Haus.
Als sie gegangen waren und wieder Stille herrschte, kroch eine Gestalt zwischen den mächtigen Wurzeln eines uralten Baumes hervor. Es war ein kleiner Mann mit buckligem Rücken, verkrümmten Fingern und einem krummen Hut auf dem Kopf. Er huschte durch das Unterholz, bis er zu einem Gebüsch kam, das voll von prallen, vom
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