Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Buch der verlorenen Dinge

Das Buch der verlorenen Dinge

Titel: Das Buch der verlorenen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Connolly
Vom Netzwerk:
ein wenig zu lang war, und Schuhe, die ein wenig zu groß waren, aber mit einem Paar dicker Wollsocken würde es schon gehen. Die Schuhe waren aus Leder und offenbar seit vielen Jahren nicht mehr getragen worden. David fragte sich, wo sie wohl herkommen mochten, denn sie mussten einem Jungen gehört haben, doch als er den Förster danach fragte, wandte der sich nur wortlos ab und deckte den Tisch mit Brot und Käse.
    Während sie aßen, wollte der Förster Genaueres darüber wissen, wie David in den Wald gekommen war und was das für eine Welt war, aus der er kam. Es gab so vieles zu erzählen, doch der Förster schien sich weniger für den Krieg und die fliegenden Maschinen zu interessieren als für David und seine Familie und die Geschichte mit seiner Mutter.
    »Du sagst, du hättest ihre Stimme gehört«, sagte er. »Aber sie ist doch tot. Wie kann das sein?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte David. »Aber sie war es. Ich bin mir ganz sicher.«
    Der Förster sah ihn zweifelnd an. »Ich habe seit langem keine Frau mehr im Wald gesehen. Wenn sie wirklich hier ist, muss sie einen anderen Weg in diese Welt gefunden haben.«
    Im Gegenzug erzählte der Förster David allerlei über das Land, in dem sie sich befanden. Er erzählte vom König, der viele Jahre geherrscht hatte, nun, da er alt und müde war, jedoch die Kontrolle über sein Königreich verloren und sich vollkommen in seine Burg im Osten zurückgezogen hatte. Und er erzählte von den Loups, die danach trachteten, über andere zu herrschen, wie es die Menschen taten, und von neuen Burgen, die in entfernten Winkeln des Königreichs entstanden waren, düstere, verborgene Orte, in denen das Böse lauerte.
    Und er erzählte von einem Trickser, der keinen Namen hatte und keinem anderen Wesen im ganzen Königreich glich; sogar der König hatte Angst vor ihm.
    »Ist es ein krummer Mann?«, fragte David plötzlich. »Mit einem krummen Hut?«
    Der Förster hörte auf zu kauen. »Woher weißt du das?«
    »Ich habe ihn gesehen«, sagte David. »Er war in meinem Zimmer.«
    »Ja, das ist er«, sagte der Förster. »Er stiehlt Kinder, und niemand sieht sie jemals wieder.«
    An der Art, wie der Förster über den Krummen Mann sprach, war etwas so Trauriges und zugleich Zorniges, dass David sich fragte, ob Leroi, der Anführer der Loups, möglicherweise Unrecht hatte. Vielleicht hatte der Förster einst eine Familie gehabt, aber dann war etwas Schlimmes passiert, und nun war er ganz allein.

10
    Von Tricksern und Tricksereien
     
     
     
    In der Nacht schlief David im Bett des Försters. Es roch nach getrockneten Beeren und Kiefernzapfen und ein wenig nach Tier, von dem Leder und den Fellen. Der Förster döste in einem Sessel beim Kamin, die Axt in Griffweite. Das Flackern des allmählich ersterbenden Feuers warf tanzende Schatten auf sein Gesicht.
    David konnte lange nicht einschlafen, obwohl der Förster ihm versicherte, dass sie in dem Holzhaus in Sicherheit waren. Die Schlitze in den Fensterklappen waren abgedeckt, und in den Schornstein des Kamins war sogar ein schweres Metallgitter eingelassen, damit niemand auf diesem Weg in das Haus gelangen konnte. Der Wald lag still da, doch es war keine friedvolle Stille. Der Förster hatte David erzählt, dass der Wald sich in der Nacht veränderte. Sobald das Zwielicht der Dunkelheit wich, tauchten überall merkwürdige, halb formlose Wesen aus den Tiefen der Erde auf, während die meisten der Nachttiere mittlerweile tot waren oder gelernt hatten, bei ihrer Jagd noch vorsichtiger zu sein als bisher.
    Den Jungen plagten sehr unterschiedliche Gefühle. Einerseits verspürte er Angst und heftige Reue, dass er überhaupt so dumm gewesen war, die Sicherheit seines Zuhauses zu verlassen und in diese neue Welt einzutreten. Er wollte in sein altes, vertrautes Leben zurück, so schwierig das auch bisweilen sein mochte. Andererseits wollte er ein wenig mehr von diesem Land sehen, und er hatte auch noch keine Erklärung dafür, was es mit der Stimme seiner Mutter auf sich hatte. War es das, was mit den Leuten geschah, wenn sie starben? Kamen sie in dieses Land, vielleicht auf dem Weg zu einem anderen Ort? War seine Mutter hier gefangen? Hatte jemand einen Fehler gemacht? Vielleicht hätte sie noch gar nicht sterben sollen, und jetzt versuchte sie hierzubleiben, in der Hoffnung, dass jemand sie fand und sie zu ihren Lieben zurückbrachte. Nein, David konnte noch nicht gehen. Der Baum war markiert, und er würde nach Hause zurückkehren, aber

Weitere Kostenlose Bücher