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Das Buch der verlorenen Dinge

Das Buch der verlorenen Dinge

Titel: Das Buch der verlorenen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Connolly
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verlieren, außer unseren Ketten.«
    »Aber ihr habt doch gar keine Ketten«, stellte David fest.
    »Es sind metaphorische Ketten«, erklärte der erste Zwerg. Er nickte gewichtig, als hätte er gerade etwas Bedeutsames verkündet.
    »Aha«, meinte David. Er wusste nicht so recht, was eine metaphorische Kette war. Genau genommen wusste er nicht einmal, wovon die Zwerge überhaupt sprachen. Aber immerhin waren es sieben von ihnen, wie es sich gehörte.
    »Habt ihr auch Namen?«, fragte David.
    »Namen?«, sagte der erste Zwerg. »Natürlich haben wir Namen. Ich«, er hüstelte wichtigtuerisch, »bin Genosse Bruder Nummer Eins. Und das da sind Genosse Bruder Nummer Zwei, Drei, Vier, Fünf, Sechs und Acht.«
    »Was ist mit Nummer Sieben passiert?«, fragte David.
    Betretenes Schweigen breitete sich aus.
    »Wir sprechen nicht über den ehemaligen Genossen Bruder Nummer Sieben«, sagte Genosse Bruder Nummer Eins schließlich. »Er ist offiziell aus der Parteiliste gestrichen.«
    »Er ist zu seiner Mama zurückgegangen, um zu arbeiten«, erklärte Genosse Bruder Nummer Drei hilfsbereit.
    »Elender Kapitalist«, fauchte Bruder Nummer Eins.
    »Er ist Bäcker«, korrigierte Bruder Nummer Drei ihn.
    Er stellte sich auf die Zehenspitzen und flüsterte David zu: »Wir dürfen nicht mehr mit ihm reden. Wir dürfen nicht mal die Brötchen essen, die seine Mama bäckt, nicht mal die vom Tag vorher, die sie zum halben Preis verkauft.«
    »Das habe ich gehört«, sagte Bruder Nummer Eins. »Wir können unsere eigenen Brötchen backen«, fügte er pikiert hinzu. »Wir brauchen keine Brötchen von einem Klassenverräter.«
    »Nein, können wir nicht«, sagte Bruder Nummer Drei. »Die werden immer hart, und dann hat sie wieder was zu meckern.«
    Schlagartig verschwand die gute Laune der Zwerge. Sie hoben ihr Werkzeug auf und wandten sich zum Gehen.
    »Wir müssen los«, sagte Bruder Nummer Eins. »War nett, dich kennenzulernen, Genosse – äh, du bist doch ein Genosse, oder?«
    »Ich denke schon«, sagte David. Er wusste es nicht so genau, aber er wollte sich nicht wieder mit den Zwergen anlegen. »Darf ich denn noch Brötchen essen, wenn ich Genosse bin?«
    »Solange sie nicht vom ehemaligen Genossen Bruder Nummer Sieben gebacken sind – «
    »Oder von seiner Mama«, fügte Bruder Nummer Drei spöttisch hinzu.
    » – kannst du alles essen, was du magst«, beendete Bruder Nummer Eins seinen Satz, den Zeigefinger warnend zu Bruder Nummer Drei erhoben.
    Die Zwerge überquerten die Straße und marschierten durch den Graben auf der anderen Seite, von dem ein Trampelpfad in den Wald führte.
    »Wartet mal«, sagte David. »Könnte ich vielleicht für eine Nacht bei euch bleiben? Ich habe mich verlaufen, und ich bin schrecklich müde.«
    Genosse Bruder Nummer Eins überlegte.
    »Sie wird nicht einverstanden sein«, sagte Bruder Nummer Vier.
    »Andererseits«, sagte Bruder Nummer Zwei, »beschwert sie sich ständig darüber, dass sie nie jemanden hat, mit dem sie reden kann. Vielleicht kriegt sie ja bessere Laune, wenn sie ein neues Gesicht sieht.«
    »Bessere Laune«, sagte Bruder Nummer Eins sehnsüchtig, als wäre es eine besonders leckere Sorte Eiscreme, die er vor langer, langer Zeit gekostet hatte. »Also gut, Genosse«, sagte er zu David. »Komm mit. Wir kümmern uns um dich.«
    David war so froh, dass er beinahe einen Luftsprung gemacht hätte.
     
     
    Während sie gingen, erfuhr David ein wenig mehr über die Zwerge, obwohl er nicht alles verstand, was sie ihm erzählten. Es war viel von »Produktionsmitteln« die Rede, und dass sie »im Besitz der Arbeiter« sein sollten, und dann ging es um »die Tagesordnungspunkte der Zweiten Zusammenkunft des Dritten Ausschusses«, aber nicht um die der Dritten Zusammenkunft des Zweiten Ausschusses, denn die hatte offenbar mit einem Streit darüber geendet, wer hinterher den ganzen Abwasch machen sollte.
    David hatte eine gewisse Ahnung, wer »sie« sein könnte, aber es erschien ihm höflicher, vorher zu fragen.
    »Ihr wohnt mit einer Dame zusammen?«, fragte er Bruder Nummer Eins.
    Sofort verstummte das Geplauder der anderen Zwerge.
    »Ja, leider«, sagte Bruder Nummer Eins.
    »Alle sieben?«, hakte David nach. Er wusste selbst nicht so recht warum, aber irgendwie erschien es ihm seltsam, dass eine Frau mit sieben kleinen Männern zusammenlebte.
    »Getrennte Betten«, sagte der Zwerg. »Keine Mauscheleien.«
    »Nein, natürlich nicht«, sagte David. Er überlegte kurz, was der Zwerg wohl

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