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Das Buch der verlorenen Dinge

Das Buch der verlorenen Dinge

Titel: Das Buch der verlorenen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Connolly
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hatte: Jemand versuchte, eine Geschichte zu erschaffen, und David war ein Teil davon, aber die Geschichte bestand selbst wiederum aus anderen Geschichten. David hatte von Trollen und Harpyen gelesen, und in vielen alten Geschichten kamen Förster vor. Auch sprechende Tiere, wie die Wölfe, tummelten sich zuhauf darin.
    »Komm«, sagte David zu dem Förster. Er ging auf die rechte Brücke zu, und der Trollwächter trat zur Seite, um David vorbeizulassen. Zögernd setzte David den Fuß auf die erste Planke und umfasste das Halteseil. Nun, da sein Leben davon abhing, war er sich nicht mehr ganz so sicher, und der Anblick der Harpyen, die direkt unter seinen Füßen hindurchglitten, förderte auch nicht gerade seine Seelenruhe. Aber er hatte seine Entscheidung getroffen, und es gab kein Zurück. Vorsichtig machte er einen zweiten Schritt, dann einen dritten, die Hände fest um die Seile geklammert. Nur nicht nach unten sehen. Er war schon ein gutes Stück gegangen, als ihm auffiel, dass der Förster ihm nicht folgte. David blieb stehen und drehte sich um.
    Überall zwischen den Bäumen lauerten Wolfsaugen. David sah, wie sie im Schein der Fackel aufglühten. Jetzt setzten sie sich in Bewegung, kamen aus den Schatten heraus und bewegten sich auf den Förster zu. Die anderen, die Loups, blieben zurück und warteten ab, bis ihre niederen Brüder und Schwestern den bewaffneten Mann überwältigt hatten. Die Trolle waren verschwunden; sie hatten offenbar sehr schnell begriffen, dass es ziemlich sinnlos war, Raubtiere in Rätselspiele zu verwickeln.
    »Nein!«, rief David. »Komm schon! Das schaffst du noch.«
    Doch der Förster rührte sich nicht. »Geh, und beeil dich«, rief er David zu. »Ich halte sie auf, solange ich kann. Wenn du drüben bist, trenn die Seile durch. Hast du gehört? Trenn die Seile durch!«
    David schüttelte den Kopf. »Nein«, rief er erneut, Tränen in den Augen. »Du musst mit mir kommen. Ich kann doch nicht ohne dich gehen!«
    In dem Moment griffen die Wölfe wie auf Kommando an.
    »Lauf!«, brüllte der Förster, während er mit der Axt ausholte und sein Messer zückte. David sah, wie eine kleine Blutfontäne in die Luft spritzte, als der erste Wolf starb, dann stürzte sich das ganze Rudel mit gefletschten Zähnen auf den Förster. Ein paar Wölfe jedoch versuchten, sich am Förster vorbeizuschleichen, um den Jungen zu verfolgen. Nach einem letzten Blick über die Schulter lief David los. Er hatte noch nicht einmal die Hälfte des Weges geschafft, und die Brücke schwankte bei jeder Bewegung heftig hin und her. Das Dröhnen seiner Schritte hallte durch die Schlucht. Bald darauf mischte sich das Geräusch von krallenbewehrten Pfoten darunter. David blickte zur Seite und sah, dass drei seiner Verfolger die linke Brücke genommen hatten, wohl in der Absicht, ihm auf der anderen Seite den Weg abzuschneiden, da es ihnen nicht gelungen war, am Förster vorbeizukommen. Sie holten schnell auf. Der Letzte von den dreien war ein Loup mit einem zerrissenen weißen Kleid und goldenen Ringen in den Ohren. Speichel troff ihm aus der Schnauze, und er leckte sich mit der Zunge über die Lefzen.
    »Lauf nur«, rief er mit einer nahezu mädchenhaften Stimme und schnappte gierig in die Luft. »Du entkommst uns nicht. Und auf der anderen Seite schmeckst du genauso gut.«
    David schmerzten die Arme vom Festhalten, und das Schwanken der Brücke machte ihn schwindlig. Die Wölfe waren schon fast auf einer Höhe mit ihm. Er würde es niemals vor ihnen auf die andere Seite schaffen.
    Plötzlich gaben die Planken der anderen Brücke nach, und der vorderste Wolf stürzte durch das Loch. David hörte das Sirren einer Harpune, und der Wolf wurde bäuchlings aufgespießt und zu der Trollhöhle in der Felswand gezogen.
    Der zweite Wolf blieb so abrupt stehen, dass der weibliche Loup ihn fast umgerannt hätte. Da, wo eben noch ihr Bruder gewesen war, gähnte jetzt ein großes Loch, mindestens zwei Meter breit. Weitere Harpunen schossen durch die Luft, denn die Trolle hatten keine Lust mehr zu warten, bis ihre Beute herunterfiel. Die Wölfe hatten die falsche Brücke betreten, und damit war ihr Schicksal besiegelt. Eine weitere Pfeilspitze traf ihr Ziel, und der zweite Wolf wurde zuckend und winselnd durch das Loch in der Brücke gerissen. Nun war nur noch der Loup übrig. Er spannte die Muskeln an, sprang über die Lücke und landete unversehrt auf der anderen Seite. Er schlidderte ein wenig, fing sich aber wieder und erhob

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