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Das Buch der verlorenen Dinge

Das Buch der verlorenen Dinge

Titel: Das Buch der verlorenen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Connolly
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folgten, keine verräterischen Raben, die ihn den Jägern hinter ihm preisgaben.
    Um ein wenig Kraft zu schöpfen, aß er ein Stück Brot aus seiner Tasche und trank einen großen Schluck von seinem Wasser. Im ersten Moment fühlte er sich besser, aber der Anblick der Tasche mit dem sorgfältig gepackten Proviant erinnerte ihn an den Förster. Erneut stiegen ihm Tränen in die Augen, doch er gestattete sich nicht zu weinen. Er stand auf, schwang sich die Tasche über die Schulter und wäre um ein Haar über einen Zwerg gefallen, der gerade aus dem Graben auf der linken Straßenseite geklettert war.
    »Pass doch auf, wo du hintrittst«, sagte der Zwerg. Er war knapp einen Meter groß und trug ein blaues Wams, eine schwarze Hose und schwarze kniehohe Stiefel. Auf seinem Kopf saß eine lange blaue Mütze mit einem Glöckchen an der Spitze, das allerdings nicht mehr bimmelte. Sein Gesicht und seine Hände waren schmutzig, und er hatte eine Spitzhacke über der Schulter. Seine Nase leuchtete rot, und er trug einen kurzen weißen Bart, in dem noch Essensreste hingen.
    »Tut mir leid«, sagte David.
    »Das sollte es auch.«
    »Ich habe dich nicht gesehen.«
    »Was soll das denn heißen?«, fragte der Zwerg und fuchtelte drohend mit seiner Hacke. »Bist du etwa größistisch? Willst du behaupten, ich wäre klein?«
    »Nun ja, du bist klein«, sagte David. »Nicht dass mich das stören würde«, fügte er hastig hinzu. »Ich bin auch klein, verglichen mit anderen Leuten.«
    Aber der Zwerg hörte ihm gar nicht mehr zu, sondern wandte sich an ein paar gedrungene Gestalten, die sich jetzt ebenfalls der Straße näherten.
    »He, Genossen!«, rief der Zwerg. »Der Kerl hier behauptet, ich wäre klein.«
    »Frechheit!«, sagte einer von ihnen.
    »Halt ihn fest, bis wir da sind, Genosse«, sagte ein anderer, schien dann jedoch zu zögern. »Warte mal, wie groß ist er denn?«
    Der Zwerg musterte David. »Nicht sehr groß«, erwiderte er. »Eineinhalb Zwerge. Ein und zwei Drittel, höchstens.«
    »Gut, dann schnappen wir ihn uns«, kam die Antwort.
    Unversehens war David von lauter kleinen, missmutigen Männern umgeben, die etwas von »Recht« und »Freiheit« murrten und dass sie genug von »diesem Mist« hätten. Alle waren schmutzig, und alle trugen Mützen mit kaputten Glöckchen. Einer von ihnen trat David gegen das Schienbein.
    »Au!«, meinte David. »Das tat weh.«
    »Jetzt weißt du, wie sich das für uns anfühlt«, sagte der erste Zwerg.
    Eine kleine, schmutzige Hand zerrte an Davids Tasche. Ein anderer versuchte, ihm sein Schwert zu stehlen. Ein dritter piekste ihn aus reiner Bosheit in die Weichteile.
    »Jetzt reicht’s aber!«, rief David. »Hört auf!«
    Wütend schwang er seine Tasche durch die Luft und stellte voller Befriedigung fest, dass er zwei von den Zwergen traf. Sie purzelten kopfüber in den Graben, wo sie sich noch eine Weile theatralisch hin- und herrollten.
    »Warum hast du das getan?«, fragte der erste Zwerg. Er wirkte ziemlich schockiert.
    »Du hast mich getreten.«
    »Hab ich nicht.«
    »Hast du wohl. Und dann hast du versucht, mir meine Tasche zu stehlen.«
    »Hab ich nicht.«
    »Ach, das ist doch albern«, sagte David. »Du hast es getan, und das weißt du ganz genau.«
    Der Zwerg senkte den Kopf und trat mit der Fußspitze in den Kies der Straße, sodass eine kleine weiße Staubwolke aufstieg. »Also gut«, sagte er. »Kann sein, dass ich das getan habe. Tut mir leid.«
    »Schon in Ordnung«, sagte David.
    Er bückte sich und half den Zwergen, ihre beiden Gefährten aus dem Graben zu hieven. Niemand war verletzt. Im Gegenteil, jetzt, wo es vorbei war, schien es den Zwergen geradezu Spaß gemacht zu haben.
    »Fast wie damals im Großen Kampf, was, Genossen?«, sagte einer von ihnen.
    »Ganz recht, Genosse«, erwiderte ein anderer. »Die Arbeiter müssen sich gegen jede Form von Unterdrückung wehren.«
    »Hm, aber ich habe euch doch gar nicht unterdrückt«, sagte David.
    »Aber du hättest es tun können, wenn du gewollt hättest«, sagte der erste Zwerg. »Stimmt’s?«
    Bekümmert schaute er zu David hoch. Offensichtlich hätte er es zu gerne einmal erlebt, dass jemand erfolglos versuchte, ihn zu unterdrücken.
    »Nun ja, wenn du meinst«, sagte David, nur um dem Zwerg eine Freude zu machen.
    »Hurra!«, rief der Zwerg. »Wir haben uns der drohenden Unterdrückung widersetzt. Die Arbeiter lassen sich nicht in Fesseln legen!«
    »Hurra!«, riefen die anderen Zwerge im Chor. »Wir haben nichts zu

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