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Das Buch der verlorenen Dinge

Das Buch der verlorenen Dinge

Titel: Das Buch der verlorenen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Connolly
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sehr nah, weißt du. Oh ja, sehr nah.«
    David wusste nicht genau, was der Krumme Mann meinte, aber sein Tonfall gab David das Gefühl, irgendwie beschmutzt worden zu sein.
    »Vielleicht möchte er ja, dass du sein neuer Freund wirst«, fuhr der Krumme Mann fort. »Weißt du, dass er dich nachts anschaut, wenn du schläfst? Er findet dich schön. Er will dir nah sein, ganz nah.«
    »Rede nicht so über ihn«, sagte David warnend. »Dazu hast du kein Recht.«
    Der Krumme Mann sprang aus der Ecke wie ein Frosch und landete direkt vor David. Seine knochige Hand packte das Kinn des Jungen, so fest, dass sich die Fingernägel in seine Haut gruben.
    »Sag mir nicht, was ich zu tun habe, Kleiner«, knurrte er. »Ich könnte dir den Kopf abreißen, wenn mir danach wäre, und meinen Esstisch damit schmücken. Ich könnte ein Loch in deinen Schädel bohren und eine Kerze hineinstecken, nachdem ich das, was darin ist, gegessen habe – obwohl das nicht allzu viel sein dürfte. Du bist kein besonders kluger Junge, was? Du betrittst eine Welt, von der du nichts verstehst, angelockt durch die Stimme einer Person, von der du weißt, dass sie tot ist. Du weißt nicht, wie du wieder zurückkommen sollst, und beleidigst den Einzigen, der dir dabei helfen kann, nämlich mich. Du bist ein sehr unhöflicher, undankbarer und dummer kleiner Junge.«
    Mit einem Fingerschnippen zauberte der Krumme Mann eine lange, spitze Nadel hervor, an der ein grober schwarzer Faden hing. Er sah aus, als bestünde er aus den zusammengeknoteten Beinen toter Käfer.
    »Ich schlage vor, du legst dir etwas bessere Manieren zu, sonst sehe ich mich nämlich gezwungen, dir den Mund zuzunähen.«
    Damit ließ er David los und tätschelte ihm sanft die Wange.
    »Pass auf, ich zeige dir einen Beweis meiner guten Absichten«, gurrte er. Er griff in den Lederbeutel an seinem Gürtel, holte die abgetrennte Schnauze des Kundschafterwolfs hervor und hielt sie David vor die Nase.
    »Er ist dir gefolgt, und er hat dich aufgespürt, als du aus der Kirche im Wald kamst. Er hätte dich getötet, wäre ich nicht eingeschritten. Aber andere werden folgen. Sie sind dir auf der Spur, und ihre Zahl wird immer größer. Immer mehr von ihnen verwandeln sich, und nichts kann sie mehr aufhalten. Ihre Zeit ist gekommen. Selbst der König weiß es, und er hat nicht mehr die Kraft, sich ihnen entgegenzustellen. Es wäre gut für dich, wenn du wieder in deine eigene Welt zurückkehrtest, bevor sie dich finden, und ich kann dir dabei helfen. Sag mir, was ich wissen will, und bevor es dunkel wird, bist du wieder sicher in deinem Bett. Zu Hause wird alles in Ordnung sein, und deine Probleme werden sich in Luft aufgelöst haben. Dein Vater wird dich lieben, und nur dich. Das alles verspreche ich dir, wenn du mir nur eine Frage beantwortest.«
    David wollte sich nicht auf einen Handel mit dem Krummen Mann einlassen. Man konnte ihm nicht trauen, und David war sicher, dass er eine Menge vor ihm verbarg. Kein Handel mit ihm würde jemals einfach oder billig zu haben sein. Dennoch stimmte vieles von dem, was er sagte: Die Wölfe kamen immer näher, und sie würden nicht ruhen, bis sie David gefunden hatten. Roland wäre nicht in der Lage, alle zu töten. Und dann das Ungeheuer: Sie hatten es zwar bezwungen, aber es war nur einer der vielen Schrecken, die dieses Land zu verbergen schien. Bestimmt gab es noch andere, womöglich sogar noch schlimmere als die Loups oder das Ungeheuer. Wo auch immer Davids Mutter jetzt sein mochte, in dieser Welt oder in einer anderen, sie schien außerhalb seiner Reichweite zu sein. Er würde sie nicht finden. Es war dumm von ihm gewesen, das auch nur zu hoffen, aber er hatte sich so sehnlich gewünscht, dass es wahr sein möge. Er hatte sich gewünscht, dass sie wieder lebendig würde. Er vermisste sie. Bisweilen vergaß er sie, aber im Vergessen kam die Erinnerung wieder, und dann war der Schmerz noch größer als zuvor. Doch die Antwort auf seine Einsamkeit lag nicht an diesem Ort. Es war Zeit, nach Hause zu gehen.
    Und so lenkte David ein. »Was willst du wissen?«, fragte er.
    Der Krumme Mann beugte sich zu ihm und flüsterte: »Ich will, dass du mir den Namen des Kindes in eurem Haus sagst. Ich will, dass du für mich deinen Halbbruder benennst.«
    Davids Furcht verwandelte sich in Verwirrung. »Aber warum?«, fragte er. Wenn der Krumme Mann dieselbe Gestalt war, die er in seinem Zimmer gesehen hatte, war es dann nicht möglich, dass er auch in anderen Teilen

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