Das Buch der Zeit Band 2: Die Sieben Münzen
wird.«
»Aha«, machte Sam, der dem Gedankengang trotzdem nicht folgen konnte. »Oh, sicher, wenn er gewollt hätte, hätte er das Schloss auch erobern können! Aber abgesehen davon, dass er in einem Krieg viele Männer verloren hätte, hätte alle Welt gewusst, wie gierig er auf das Schloss war. Dann wären selbst die Türken und die Ungarn neugierig geworden . .. Indem er vom Schlossherrn von Bran ohne großes Aufsehen ein Wohnrecht erworben hat, hat er bekommen, was er wollte, ohne dass irgendjemand etwas mitbekam.«
»Was gibt es denn so Besonderes in Bran, dass es den Woiwoden so sehr interessiert?«
Der junge Mann zuckte ausweichend die Achseln.
»Wenn du das wirklich wissen willst, geh und frag ihn selbst.«
»Ist... ist er denn zurzeit hier?«
»Ein Teil der Abmachung mit dem Schlossherrn von Bran ist, dass ihm der eckige Turm zu seiner freien Verfügung steht. Er kündigt sich nie an, kommt, wann er will, meist nur mit einer kleinen Eskorte. Niemand soll wissen, dass er da ist, und er lässt sich nur von seinen eigenen Männern bedienen. Doch soviel ich weiß, kämpft er gerade in der Walachei gegen Sultan Mehmed. Und was den Herrn von Bran angeht, so führt er gerade seinen eigenen Krieg gegen einen seiner Vasallen.«
Samuel fühlte sich auf einmal viel entspannter. Deshalb waren die Gänge des Schlosses wie ausgestorben!
»Aber wenn der Woiwode das alles geheim halten will, wie kommt es dann, dass Sie, noch dazu von diesem Gefängnis aus . . .«
Das gleiche zähnebleckende Grinsen wie eben:
»Der Notar, der den Vertrag zwischen dem Hausherrn von Bran und dem Woiwoden aufgesetzt hat, war mehrere Monate hier eingesperrt. Damit er nicht reden konnte, natürlich ... Vor einigen Tagen fing er plötzlich an zu fiebern und hustete stark. Kurz vor seinem Tod hat er sich mir anvertraut.«
Kein Zeuge mehr, keine Spur von Vlad ... Kein Wunder, dass die Historiker derartige Schwierigkeiten hatten, eine Verbindung zwischen Dracula und Schloss Bran nachzuweisen!
Dragomir sprang geschmeidig auf die Füße.
»Wenn ihr nicht enden wollt wie der Notar, rate ich euch, so schnell wie möglich von hier zu verschwinden. Auch wenn die anderen Wachen uns sicher nicht gehört haben, so machen sie doch ihre Runden.«
»Keine Sorge, wir verschwinden.«
Samuel schob seinem Vater einen Arm unter die Schultern und half ihm auf die Beine.
»Es ist so weit, Papa, wir verkrümeln uns.«
Allan machte einen ersten unsicheren Schritt, dann, gestützt von seinem Sohn, einen zweiten. Vor dem Tisch der Wache angekommen, hielt er sich die Hand vor die Augen, weil ihn das Kerzenlicht blendete.
»Wo . . . wo sind wir?«, stotterte er.
»Im Verlies von Schloss Bran«, antwortete Sam. »Aber es ist vorbei, wir kehren jetzt nach Hause zurück.«
»Nach Hause«, wiederholte Allan langsam. »Ja, wir gehen wieder nach Hause!«
Dann, als würde er allmählich begreifen:
»Samuel? Samuel, bist du das?«
Er strich ihm mit den Fingerspitzen über die Wange und sah ihn aus seinen fiebrig glänzenden Augen an: »Samuel Faulkner! Der Sohn von Allan Faulkner!«
»Bitte nicht so laut, Papa, sonst hören sie uns!«
Doch das kümmerte seinen Vater nicht. Außer sich vor Freude riss er ihn in seine mageren Arme und schmetterte:
»Er ist gekommen! Mein Sohn ist gekommen! Der Sohn von Allan und Elisa Faulkner!«
Samuel drückte seinen Vater ebenfalls und versank für einen Moment in dieser liebevollen Umarmung. Wie lange war es her, dass ihn sein Vater so gehalten hatte?
»Samuel Faulkner!«, tönte Allan. »Sam-Sam-Sam!«
Doch Dragomir brachte sie schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurück.
»Wir dürfen nicht noch länger warten, es ist zu riskant! «
Schweren Herzens löste Sam sich von seinem Vater und geleitete ihn zur Treppe, die sie nur unter größten Mühen erklommen, so geschwächt war Allan.
Oben angekommen, murmelte er plötzlich: »Er ist da .. . Ich weiß, dass er da ist.«
»Wer ist da?«, fragte Sam. »Wenn du Vlad Tepes meinst, der kämpft gerade gegen die Türken.«
»Vlad Tepes, natürlich . . .« Allan schien mit seinen Gedanken ganz woanders zu sein. »Er hat ihn!«
»Was hat er?«
»Er hat ihn in Izmit gestohlen«, fuhr sein Vater fort. »Als er jung war . . . Ich erinnere mich jetzt!«
Dragomir drehte sich zu ihm um und legte den Finger auf den Mund.
»Wir müssen leise sein, Papa«, wisperte Sam. »Es sind Soldaten in der Nähe, und wenn sie uns erwischen, kommen wir nie wieder nach
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