Das Buch des Kurfürsten: Historischer Roman (German Edition)
und bedeutete zudem vielleicht Milch, tat drei vorsichtige Schritte dorthin, wo sie das Tier auszumachen glaubte. Sie streckte die Hände aus und berührte ein Gatter aus runden Hölzern, von denen die Rinde abblätterte. Dann sah sie genug, um das Tier dahinter zu erkennen. „Oh!“, rutschte ihr heraus. „Sie ist schwarz!“
Ryss, der in den hinteren Teil weitergehumpelt war, blieb stehen und drehte sich zu ihr um.
„Schwarze Ziegen wehren Unheil ab. Das ist doch ein gutes Zeichen, was? Sie werden uns hier nicht entdecken!“, rief sie ihm leise zu und versuchte dabei, aufmunternd zu klingen.
„Auch Hexen und Dämonen können sich verwandeln in schwarzes Getier. Hunde, Katzen, Ziegen“, entgegnete er mürrisch.
Sie sah die Ziege an, die neugierig den Kopf hob. Sie sah harmlos aus. Und dass er schon wieder so grantig war, nun, sie konnte es sich nur so erklären, dass er Schmerzen litt. „Es ist gut, dass sie hier ist, denn sie zieht sämtliche Krankheiten im Stall auf sich. Also auch Eure.“
„Ich bin nicht
krank
!“
Hedwig seufzte. Wenn sie daran dachte, wie unleidlich Philipp war, wenn er Kopfweh hatte, konnte sie ihm nachfühlen. Wann immer sie auf dem Weg hierher zu ihm hingesehen hatte, war sein Gesicht vor Schmerz verzogen gewesen, und sie wusste, dass er unter dem Umhang die Hand auf die Wunde am Oberarm gepresst hielt. Er humpelte, was umso schlimmer war, da sie so rasch gegangen waren, wie es ihre Lasten und seine Verwundungen zugelassen hatten.
Ryss hatte recht behalten. Bald nachdem sie den Platz am Bach verlassen hatten – die Pferde hatten sie verjagt –, erreichten sie den Waldrand, hinter dem das Dorf auszumachen war. An einer jungen, zweistämmigen Eiche, deren Stämme sich wie in einer Umarmung umeinander schlangen, gabelte sich plötzlich ein Weg, führte rechts und links an ihr vorbei in eine Mulde hinunter, aus der sich ein welliger Schneehügel erhob wie ein riesenhaftes weißes Deckbett. Dahinter duckte sich ein Haufen Häuser, hier und da sprenkelten gelbe Lichttupfer das dunkelgraue Abendlicht.
Drei oder vier Ruten seitlich der linken Gabelung stand eine Scheuer. Schräg versetzt hinter ihr, am Rand zur Mulde, erhob sich ein kleines Steinhaus mit einseitig über einem Holzanbau tief heruntergezogenem Dach.
Sie hatten sich nicht absprechen müssen. Vorsichtig hatten sie sich der Scheune genähert. Es war noch nicht spät am Abend, es konnte durchaus sein, dass noch jemand herauskam. Und obwohl sie fürchten mussten, dass ihre Verfolger möglicherweise hier nach ihnen fragen würden, war ihnen klar, dass sie sich an einem vorerst geschützten Ort ausruhen mussten. Denn so verletzt Ryss auch war, weder er noch sie wären dort am Bachrain auf den Gedanken gekommen, seine Wunde zu versorgen. Er hatte einen Tuchstreifen darüber gebunden, das war alles. Gott, wenn sie daran dachte! Welche Angst sie ausgestanden hatte. Zu sehen, wie die beiden Schelme auftauchten und Ryss ihnen ausgeliefert war. Nichts tun zu können. Still im Verborgenen sitzen zu müssen, hilflos. Welche Ohnmacht, welche Pein! Und dann waren sie verschwunden, und im Nebel wisperte das Waldgelichter, es war düster geworden, die Dämmerung hatte Schattengesichter ins Gehölz gezeichnet, und das Murmeln im Bach war wie das Raunen von Spukgestalten gewesen. Sie hatte die Pferde von ihrem Versteck aus sehen können, und solange die da waren, waren auch die Schelme noch da. Und wenn sie zurückkämen zu ihren Gäulen? Sie wollte sich gar nicht ausmalen, was das bedeutete. Sie kauerte unter dem Busch und flehte den Herrn an, sich ihrer zu erbarmen – und Ryss zurückzubringen, obwohl sie um die Unvernunft eines solchen Wunsches wusste. Wie sollte er zwei bewaffneten Übeltätern entkommen? Doch dann
war
er zurückgekehrt, und ein solches Gefühl hatte sie noch nie gehabt wie jenes, das sich ihrer bemächtigte, als er auf den Unterschlupf zugetaumelt kam. Aufgeschluchzt hatte sie vor Erleichterung und Dankbarkeit, weinend war sie ihm entgegengestolpert. Am liebsten wäre sie ihm um den Hals gefallen, doch das traute sie sich nicht. Zudem sah sie sogleich, dass er Schmerzen litt, dass sein Umhang links eingerissen und blutverschmiert war. Rasch hatte er erzählt, was vorgefallen war. Dass er nicht wusste, ob Rotnase noch lebte. Oder der andere, den er Zimtfresse nannte, und den er in gebührendem Abstand umrundet hatte, auf der Hut, ob er sich regen würde. Aber das hatte er nicht getan. Und so war er abwärts
Weitere Kostenlose Bücher