Das Buch des Kurfürsten: Historischer Roman (German Edition)
Seite, halb auf dem Bauch schob er sich an den zweiten größeren Stein heran, ließ den Dolch los, ergriff ihn, schnellte wieselflink herum und schlug mit aller Macht zu, noch ehe sein Gegner den zweiten Hieb ausführen konnte. Rotnase sackte zusammen, sein Körper fiel zur Seite, eine Gesichtshälfte blutüberströmt. Ryss zögerte keine Sekunde. Nahm seine Kraft zusammen und kam hoch, griff das Schwert und schleuderte es in hohem Bogen fort wie schon einmal. Er schleifte Rotnases Körper zum Rand und stieß ihn mit einem kräftigen Ruck hinunter.
Dann nahm er seinen Dolch und kletterte, am ganzen Leib zitternd, den Fels hinab.
Dreißig
„Zu guter Letzt, als man ihm die peinliche Befragung in Aussicht stellte, sagte er, Hedwig sei entführt worden. Einen größeren Unsinn hätte er nicht von sich geben können!“, schnaubte Matthias.
Herr Belier hatte ihn in eine Stube im Obergeschoss gebeten, sie saßen sich auf Sesseln gegenüber, die mit moosgrünem Brokat bezogen waren. Auf einem kleinen Tisch aus dunkel poliertem Holz zwischen ihnen stand eine bauchige Glasflasche mit Branntwein neben einem wassergefüllten Tonkrug. Appel hatte es hereingebracht und Matthias ein Glas mit einem Gemisch davon eingeschenkt.
„Das wäre die erste Magd, die man wegen Lösegeld entführte! Was ist nur in ihn gefahren?“
Der Hausherr schaute betrübt.
Matthias war warm, er überlegte, ob er seinen Filzhut abnehmen sollte, unterließ es aber, es wäre unhöflich. Er stützte den Ellbogen auf die Lehne, neigte kurz die Stirn zur Hand, rieb sich die Augen.
Während man Philipp am Morgen verhört hatte, war er hinaus zur Herberge gegangen, um die Mitbringsel und die Decken vom Wagen zu holen und nach Walko zu sehen. Er hatte dem Wirt des Heiliggeiststifts gesagt, er wisse nicht, wie lange er noch in der Stadt bliebe, es habe Veränderungen gegeben. Nach Mittag dann hatte er in der Kanzlei vorgesprochen und um Auskünfte gebeten. Botenmeister Biber hatte sie ihm erteilt und ihm sein Bedauern ausgedrückt. Er hatte Mitleid mit ihm, das hatte Matthias gemerkt. Er könne sich Philipps Gebaren nicht erklären, man kenne ihn als zuverlässigen, freundlichen, ja strebsamen Amtsknecht. Und nun so etwas. Ratlos hatte er den Kopf geschüttelt, Matthias alles gesagt, was bei der Befragung zutage gekommen war – nicht viel nämlich. Montag früh wollte man ihn ein weiteres Mal inquirieren. Nachdem er dies alles Gundel mitgeteilt hatte, war er zum Haus des Tuchhändlers gegangen, um diesen ebenfalls auf den neuesten Stand zu bringen. So saß er also im ersten Stock dieses vornehmen Gebäudes und erzählte Herrn Belier, was er in Erfahrung gebracht hatte.
„Ich bin ratlos, ’err Großhans“, sagte dieser schließlich. „Ich kann nur ’offen, dass sich alles aufklärt. Auch ich sorge mich um Euer Töchter.“
Matthias presste die Lippen aufeinander. Diese Ungewissheit über Hedwigs Schicksal! Der Ehrverlust. Warum redete Philipp nicht? Mit jeder weiteren Stunde, die sein Schwiegersohn schwieg, schnitt ihm die Angst den Weg zum Atem ab. Er griff nach dem Glas und nahm einen Schluck von dem Branntwein-Wasser-Gemisch. Dann saßen er und Herr Belier sich eine Weile schweigend gegenüber. Schließlich räusperte Matthias sich, sah den Tuchhändler an, der geduldig und mitfühlend verharrt hatte, und sagte: „Ihr wisst, wo Ihr mich findet, ehrbarer Herr Belier, sollte es etwas Neues geben. Ich spreche am Montag um die Mittagszeit noch einmal vor, so genehm.“
Herr Belier nickte. Sagte: „Kommt am Sonntag zum Gottesdienst. Einzig der ’err vermag in so trostloser Stunde seine schützenden ’ände über uns zu ’alten. Meine Gemahlin und ich werden dort sein. Kommt und findet Fürsprache.“
Matthias erhob und bedankte sich. Der Hausherr geleitete ihn durch das kleine Nebenzimmer hinaus in den Vorraum. Dort legte Appel eben Holz im Kamin nach. Sofort dachte Matthias daran, dass dies eigentlich Hedwigs Aufgabe war. Stolz hatte sie in ihren ersten Briefen über ihre Pflichten Bericht erstattet. Er schluckte.
„Begleite ’err Großhans nach draußen, Appel“, befahl Herr Belier sanft, dann drückte er Matthias mit einem kummervollen Nicken die Hand und zog sich zurück.
Noch im Treppenturm sprach sie ihn an.
„Darf ich Euch … Oh bitte, lasst mich etwas sagen, Herr Großhans.“ Appel blieb auf der Treppenstufe unter ihm stehen, sah zu ihm empor, Sorge in den großen Augen, die im dämmrigen Turm noch dunkler wirkten. Ihre
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