Das Buch des Kurfürsten: Historischer Roman (German Edition)
Hände lagen über Kreuz vor ihrer Brust, krampften sich in das Wolltuch, das sie um die Schultern trug.
„Guter Gott, Herr Großhans, das ist so schrecklich! Am Morgen am Brunnen schon schwatzte man über die Neuigkeit.“ Sie stützte sich mit der Hand an der Steinwand ab, als müsse sie Halt suchen, sah unter sich, dann wieder zu ihm auf. „Wisst Ihr, wir haben uns gefragt, wo sie bleiben, an Martini. Waren doch verabredet, aber Hedwig und Philipp kamen nicht. Wir haben im Wirtshaus gesessen und auf sie gewartet. Dachten uns schließlich, dass vielleicht etwas mit dem Kind dazwischengekommen sei, man weiß ja, dass diese kleinen Würmchen …“ Sie verstummte, rang in einer hilflosen Geste die Hände, da sie merkte, dass sie ja auch von seiner Enkeltochter sprach.
„Wie auch immer, übers Schmausen und Tanzen ging’s munter her, und wir zerbrachen uns nicht weiter den Kopf.“ Wieder senkte sie den Blick. „Ich sprach mit Kilian, Ihr kennt Philipps Freund?“ Ihre schwarzen Augen sahen rasch zu ihm auf, richteten sich dann auf einen unbestimmten Punkt hinter seiner Schulter, als sie auf sein Kopfnicken hin fortfuhr: „Ich ging zu ihm heute, in der Mittagspause, in den Marstall. Kilian hatte schon von allem gehört. Er ist in Sorge um Philipp. Er erwähnte, dass Philipp ihm tags nach Martini seltsam vorgekommen sei. Er sagt, er habe gemerkt, dass etwas nicht in Ordnung mit ihm sei, er hätte auch seine geschwollene Wange bemerkt. Er will ihn morgen besuchen. Es geht nicht eher, er hat so viel zu tun, der Marstall füllt sich täglich neu mit noch mehr Vasallen und deren Gefolge. Kilian will …“ Appel unterbrach sich, drehte den Kopf zum Treppenabgang, denn von unten drangen Geräusche herauf, Rufen, Quietschen, wahrscheinlich wurden die Läden des Verkaufsraumes geschlossen, die Fackeln entzündet.
Matthias vernahm all das, er fühlte sich erschöpft und hellwach zugleich, Appels atemloser Wortschwall hielt ihn aufrecht. Das Mädchen kannte seine Tochter. War deren Freundin. Die Sorge, der Kummer, es verband ihn mit ihr.
„Ich wusste ja nicht, dass Ihr heute vorsprecht“, sagte Appel und sah ihn wieder an, ehe sie erneut die Steinwand hinter ihm betrachtete und fortfuhr: „Kilian will morgen vorbeikommen, ehe er zum Seltenleer hochsteigt. Es liegt auf dem Weg, und ich könnte ihm etwas ausrichten. Dass er Philipp etwas von Euch sagen soll? Oder soll Kilian zu Euch kommen, vielleicht? Philipps und Hedwigs Wohnung liegt auf seinem Heimweg, er muss hinaus in die Jakober Vorstadt. Oder vielleicht wollt Ihr zu ihm? Kilian wohnt unten am Hackteufel, bei der Herrenmühle, im Haus der Witwe Obrig.
Die Art, wie Appel den Namen von Philipps Freund aussprach, ließ Matthias gewahr werden, dass sie und der Junge wohl Gefallen aneinander hatten. Er überlegte. Ob sich Philipp dem Freund anvertrauen würde? Und ob der ihm das weitergeben würde? Oder gab es etwas, das er Philipp ausrichten lassen wollte? Er wusste es nicht.
„Du bist ein gutes Mädchen, Appel,“ sagte er. „Hab Dank für deine Anteilnahme.“
Appel nickte sacht. „Ich will so gerne helfen“, flüsterte sie und sah unter sich.
Sie war so jung, und sie war so hilflos. Matthias spürte die Regung, ihr trostvoll die Hand auf die Schulter zu legen, nickte stattdessen und bedeutete ihr weiterzugehen. Schweigend stiegen sie die letzten Stufen hinab, traten in den Hinterhof hinaus. Es dämmerte, vorne an der Steinmauer blakten Fackeln im blaugrauen Abendlicht. An der Biegung zur langen Hofeinfahrt blieben sie stehen. „Trotz allem wünsche ich Euch eine gute Nacht, Herr Großhans.“
Nun tat er es doch. Er legte ihr die Hand auf die Schulter, sie sah zu ihm auf.
„Ja“, sagte er, „sag Kilian, er möge morgen bei uns vorbeischauen. Das wäre freundlich von ihm.“
Ihr Gesicht hellte sich auf, und im gelben Fackelschein schimmerte es noch samtiger und weicher.
„Ich richte es ihm aus“, antwortete sie und schenkte ihm ihr junges Lächeln, in dem sich erstaunlicherweise ganz erwachsen Trauer, Freude und Aufmunterung mischten.
Einunddreißig
Es war dunkel in der Scheune. Es roch nach Heu, Kuh, Ziege und dem schneekalten Holz des Gebäudes. Erleichtert darüber, dass die Scheuer weit genug vom Wohnhaus entfernt stand und sich ihre Tür ohne Lärm öffnen ließ, war Hedwig Ryss hinein gefolgt. Die Ziege hatte einen kleinen meckernden Laut von sich gegeben, und Hedwig, die erfreut darüber war, denn es hatte wie ein Willkommen geklungen
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