Das Buch des Kurfürsten: Historischer Roman (German Edition)
es ja gern getan. Sie erinnerte sich an das warme Gefühl dabei, das sie selbst überrascht hatte. Sie wurde verlegen. „Ach“, machte sie und wischte mit der Hand durch die Luft. Unschlüssig und unsicher stand sie ihm gegenüber.
„Ich will sein ehrlich zu Euch“, sagte Ryss mit schwerer Zunge. „Euer Familiensinn, Eure Hinneigung zu Eurem Ehemann, es rührt an …“ Er sah umher, schüttelte den Kopf.
„Ich will auch ehrlich zu Euch sein“, begann Hedwig, mit einem Mal so empfindsam für die fast traurige Art, wie er da stand, blass und schmal und irgendwie voller Betrübnis. Sie holte tief Luft. „Ich war böse auf Euch, vorhin, in der Gaststube, weil Ihr Euch immer so verschließt, wo wir doch … Nun, wir haben einiges ausgestanden, und ich meinte, dass wir … nun ja.“ Sie traute sich nicht weiter und zuckte ihrerseits die Schultern. Ihr war schummrig im Kopf. Aber auch irgendwie leicht. „Wisst Ihr, ich habe Euch wirklich gern!“, rutschte ihr heraus. Sie lachte leise und schüttelte verwundert das Haupt; setzte sich aufs Bett, lehnte den Rücken an das hölzerne Fußende und schlug die flache Hand auf den Schenkel. „Ja, so ist es.“ Sie starrte in die Glut.
Ryss räusperte sich.
Sie hob den Kopf und sah ihn an.
„Das Ihr habt schön gesagt, Maid Hedwig.“
„Bitte, nichts für ungut“, machte sie und wedelte mit dem Arm.
Er setzte sich ebenfalls aufs Bett und schnaufte vernehmlich. Dann sank er ihr gegenüber in eine behaglichere Stellung, lehnte sich vorsichtig ans Kopfende der hölzernen Bettstatt und warf einen Blick auf Juli, um zu sehen, ob sie von der Bewegung erwacht war.
War sie nicht.
Hedwig hatte ihm zugesehen. Schläfrig sagte sie: „Ihr wärt ein guter Vater, wollt Ihr nicht auch eine Familie gründen?“
Er hielt den Kopf gesenkt und nagte an seiner Unterlippe. Als er seinen Umhang enger um sich raffte, beugte Hedwig sich vor, griff einen Zipfel des Deckbettes und zog es über ihrer beider Beine.
„Der Fluss lag unter einer Eisdecke. Es war im Februar, gegen die Zeit des ersten Jahrmarkts im Jahr. Wir hatten keine Fackeln. Keine Laterne. Natürlich nicht. Wir hatten nicht vor, zu tun das.“ Ryss’ Flüstern verstummte. Er hatte die Augen geschlossen.
Plötzlich herrschte eine eigentümliche Stille in der Kammer. Hatte eben noch das letzte Stückchen Holz im Tiegel geknackt, ein Dachsparren geknarrt – nun war es still. Eine Stille, die Hedwig in den Ohren rauschte. Sie sah, wie sich Ryss’ Brust hob und senkte. Er atmete. Er fühlte. Er erinnerte.
Nur nichts sagen. Kein Wort. Die Stille war süß und schwer zugleich. Ihr Herz schlug. Sie lauschte.
Und dann sprach er leise weiter. „Ich war verliebt, und so war auch mein bester Freund. Und beide wir wurden wiedergeliebt. Wir schwebten im Himmel, unser Flug über die Wolken war grenzenlos. An jenem Nachmittag wir fanden heraus, dass das Mädchen, über das wir seit Wochen uns verloren in hoffnungsvollen Andeutungen, war ein und dieselbe. Elin. Das erstaunte Entsetzen in Taliesins Blick, als ich sagte ihm, sie liebt
mich
. Die Unfassbarkeit, dass dem verliebten Flug folgte der Sturz in den Abgrund. Keine sanfte Landung in den Armen der Geliebten. Taliesin tobte, sie liebe
ihn
.
Ich war außer mir. ‚Ich werde beweisen es dir‘, ich schrie ihn an. Jetzt und heute!‘ Und ich stapfte fort, hinaus in Eiseskälte und Schnee. Taliesin wollte zurückhalten mich. ‚Du bist toll!‘, er rief. ‚Du kannst nicht mehr über den Fluss kommen heute Abend!‘
‚Ich beweise es dir! Sie liebt mich!‘, ich brüllte zu ihm zurück.
Taliesin kam mir nach, überholte mich gar. Es war ein Wettrennen, atemlos, verbissen. Wer hat recht? Wer wird geliebt? Am vereisten Flussufer ich zögerte. Nacht kam. Und ich war unsicher, weil Taliesin war so erschüttert. Hatte er etwa recht? Aber wie konnten Täuschung sein Elins süß gehauchte Worte? Was war falsch zu verstehen daran? Taliesin war weit vor mir. Ich rief hinter ihm her, er soll kommen zurück. Noch heute ich höre, wie er schreit: ‚Nun wir bringen es zu Ende.‘
Also ich folgte ihm auf das Eis. Meine Bedenken wuchsen. Nachher es ist dunkel, kein Licht dabei. Und dann war der schwarze Punkt in der Ferne, der gewesen war Taliesin, weg. Verschluckt vom Fluss. Wortlos, ohne Schrei.“
Ryss schwieg. Hedwig stockte der Atem.
„Auf ewig ich habe die Stille dieses Augenblicks in den Ohren“, flüsterte Ryss heiser. „Ich schlitterte weiter, dorthin, wo ich ihn sah
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