Das Buch des Kurfürsten: Historischer Roman (German Edition)
seinem Mantel eng um sich geschlungen hielt, und gleichzeitig schien eine Hitze in ihm aufzuwallen, die ihm bis zu den Ohren stieg.
Am Fuß der Leiter angekommen, trat der Mann vor ihn hin, bestimmt, verströmte Drohung wie eine üble Leibesausdünstung. Den Kienspan in der Linken von sich haltend, packte er Philipp am Ohr und zerrte ihn zur Leiter.
„Rauf da!“
„Was habt Ihr vor?“, keuchte Philipp. Er raffte die Decke, um sich beim Klettern nicht zu verfangen, griff mit der Linken nach den Sprossen. Was ging hier nur vor? Sollte er das Buch etwa jetzt zurückbringen? Wie denn? Man hatte ihm den Kanzleischlüssel abgenommen. Er spürte den Mann hinter sich, kletterte weiter, machte den letzten Schritt auf den hölzernen Vorsprung und trat schließlich durch die halb geöffnete Holztür in den kleinen Raum dahinter, der im Dunkeln lag. Wo war der Wächter? Sein Herz raste, in seinem Hirn polterten die Gedanken umeinander. Spärlicher Lichtschein, als der Fremde hinter ihm die Wachstube betrat. Philipp hörte, wie er die Tür schloss, wollte sich umdrehen, hielt inne, da sich eine zweite Gestalt aus dem Dunkel schälte. Verhüllt. Er hörte das Geräusch, mit dem der Riegel vorgeschoben wurde, sich der Schlüssel im Schloss drehte. Schlüssel? Er kniff die Augen zusammen, blickte dem zweiten Mann forschend entgegen.
„Geh’n wir“, raunte der.
Er wurde in den Rücken gestoßen und taumelte voran.
Der Lichtschein fiel auf den Wächter. Bei der Tür, die hinaus auf den Wehrgang ging, lag der auf seiner Liegestatt und rührte sich nicht. Was war mit ihm? War er etwa …?
„Weiter!“, befahl der hinter ihm.
Sie traten hinaus auf den überdachten Wehrgang, sofort verlosch das spärliche Licht mit einem Zischen. Wieder hörte Philipp, wie hinter ihm abgeschlossen wurde.
Wieso hatten die Zugang zum Schloss? Ein Klumpen, dick und zäh, saß ihm im Hals, man holte ihn aus seinem Gelass – doch zu welchem Zweck? Wind pfiff durch die mächtigen Steinpfeiler des Wehrgangs, die Holzbohlen unter seinen Füßen waren nass und rutschig. Am seitlichen Eingang zum Torturm blieb jener, der ihm vorausging, stehen, wartete, dass der andere herankam. Er behielt Philipp im Auge, ohne seine Kapuze auch nur im Mindesten zu verschieben, während sein Verbündeter sich an der Tür zu schaffen machte. Eine Handbewegung, er trat in den steinernen Gang, nach rechts, eine weitere Tür, hinaus auf die Brücke, man zwang ihn, sich in deren steinernen Schatten zu drücken. Schärfer war hier der Wind, unter ihm der Burggraben, schneegrau leuchtend in mondheller Nacht. Vor ihnen das Brückenhaus. Kein Licht, nirgends. Keine Geräusche, nur das Sausen des Windes. An der Tür ein Innehalten, schweigend und dennoch befehlsberedt: Kein Ton, leise! Zur Bekräftigung das Zur-Seite-Schlagen des Umhangs – eine kleine Armbrust! Grundgütiger Herr, was bedeutete all dies? Rechts und links ellendicke Steinmauern, über ihnen im Wohnbereich Menschen. Es drückte Philipp die Kehle zu, sie so nah zu wissen. Doch was könnte er tun, was?! Dann waren sie draußen, weitläufig der Platz, schneebematscht; geduckt und dunkel rechter Hand am Ochsenried die Dächer der ersten Häuser der Bergstadt, Schemen nur. Sie drängten ihn vorwärts zum gegenüberliegenden Gebäude der Sattelkammer, dahinter erhob sich der Berg, der Jettenbühl. Man zwang ihn den schmalen Pfad rechts an der Sattelkammer vorbei, zertrampelter, weißfleckiger Schmutz, Gestrüpp. Und dann mündete der Pfad in einen breiteren Weg, von rechts nach links, von West nach Ost verlaufend: der Weg auf den Wolfsbrunnen. Sie wandten sich nach links, gen Osten. Hielten sich in Richtung des kleinen Steinbruchs, der sich südöstlich des Schlosses in den Berg fraß. Beide Männer gingen dicht hinter ihm. Ihre Tritte schmatzten im Schnee. Wollten sie von hier aus hinter dem Schloss entlang den Friesenberg hinunter? Zum Neckar? Und dann? Das Verwirrende seiner Lage, die Erregung und die Ratlosigkeit – Philipp spürte, wie all das in seinem Innern kochte wie ein giftiger Sud, wie sich Wut brodelnd untermengte. Weshalb sprachen sie nicht mit ihm? Der Berghang stieg rechter Hand steil an, Büsche und Bäume warfen Schatten in die Schneenacht. Nackte Felsnasen dünkten ihm wie Trollgesichter. Eisgrau der Berg, dessen Bewuchs zur Höhe hin spärlicher wurde. Philipp erkannte vor sich, weiter oben am Hang, das zweistöckige Fachwerkhaus der Steinhauer. Auch hier alles still. Ausbrechen, an die Tür
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