Das Buch des Kurfürsten: Historischer Roman (German Edition)
Dunkelhaarige wachte über beide. Drei gegen ihn, selbst wenn Rotnase verletzt war. Mindestens, so sie nicht doch einen weiteren Helfer gedungen hatten, ein Punkt, der ihm in seinen Überlegungen ganz und gar nicht schmeckte. Weil er es nicht wusste. Weil er fast überzeugt war, dass ihnen kein zweiter Mann folgte und Zimtfresse sie täuschte. Aber eben nur fast. Wie er diese Enge hasste, die sein Denken verriegelte. Es konnte nicht frei eintauchen in den See aus Schauen und Lauschen und eine Kelle Lösung daraus schöpfen. Stattdessen war es eckig und sperrig und stieß wieder und wieder an Kanten. Vornehmlich an eine: Sie wussten nicht, wo Hedwigs Ehemann war. So er überhaupt noch lebte.
Myn diawl
, was war zu tun?
Sie erreichten das Tor.
Noch ehe sie hindurch waren und noch ehe Ryss verstand, dass er genau jene erblickte, über die er sich die ganze Zeit den Kopf zerbrach, hinkte Rotnase mit dem Ausruf heran: „Unsere liebe Base, da ist sie ja!“ Er strahlte dabei froh und nahm Hedwig sofort in eine feste Umklammerung. Ihr erstauntes „Aber!“ erstickte er mit einem weiteren Wortschwall. „So hat der liebe Vetter euch gefunden! Den guten Abel ebenso! Nur her, nur her!“ Und er drängte sie voran, schob Hedwig dem Dunkelhaarigen in die Arme, umfasste Ryss an der Schulter und presste ihn mehrmals heftig an sich. Das war schmerzhaft, da er ihm den verletzten Arm quetschte, absichtlich, wie Ryss merkte. „Keinen Mucks, Scheißhaufen, oder dein Leben endet gleich hier!“, raunte er ihm ins Ohr, und Ryss spürte die Messerklinge unter der rechten Achsel.
Damo
!
Man nickte den Torwächtern zu, bedeutete mit Gesten, dass alles zum Besten sei, man kümmere sich um seine Verwandten, nahm ihnen Last ab. Schwupp, schon war das Buch in des Dunkelhaarigen Klauen.
Und nun?
Sie wurden die Straße entlang getrieben, dicht an dicht. Und hinter ihnen Zimtfresse. Zähneknirschend musste Ryss sich weiterstoßen lassen.
„Du, Bürschchen“, hob Rotnase mit einem falschen Lächeln im Gesicht an, als raune er seinem Begleiter die reinste Liebenswürdigkeit ins Ohr, „glaubst gar nicht, wie es mich freut, dich wiederzusehen. Dir säble ich nachher die Eier ab.“ Er presste ihn fester und Ryss unterdrückte ein Stöhnen. „Erst das eine, dann das andere. Das wird ein Fest, was?“, setzte Rotnase nach.
„Oerfel i chi“, raunte Ryss zurück.
„Deine Zaubersprüche helfen dir nicht.“
„Das war walisisch, Hundsfott!“
„Mir gleich. Bald kannst du walisisch beten und schreien.“
„Du weinst mit mir!“
„Du machst es nur schlimmer mit deinem frechen Maul. Kostet dich zudem die Nase.“
„Ein Dienst, mein Herr, damit erspart Ihr mir einen so roten Zinken wie den Euren!“
„Dir vergeht das Spotten, Fremdling!“
„Wuoh!“, entfuhr es Ryss, und er knickte nach vorne und ließ seinen Stab fahren. Er sog scharf Luft durch die Zähne. Scheißhund! Genüsslich langsam zog Rotnase das Messer aus seiner Achsel. Ryss spürte, wie Blut lief und Hemd und Wams nässte.
„Das ist nur der Anfang deiner Schmerzen, Misthaufen.“ Er kickte nach dem Stab, der schlitterte außer Reichweite.
„Was habt Ihr ihm getan? Lasst ihn los!“, rief Hedwig gequält und wollte sich vom Dunkelhaarigen losreißen. Der hielt sie, legte eine Hand auf Julis Kopf – und sofort verstummte Hedwig.
Ryss kniff die Lippen zusammen. Schmerz brannte unterm Arm. Er versucht, tief durchzuatmen. Sie hielten auf eine Kreuzung zu. Jenseits davon, weiter vorne, erhob sich das zweite Tor, nicht hoch, eher breit. Man drängte sie nach rechts, noch wenige Schritte bis zur Abzweigung der Gasse. Er gewahrte, dass ein junger Mann und ein junges Mädchen in ziemlicher Eile um die Ecke der linken Gasse bogen. Tief im Gespräch, mit den Händen die Worte untermalend, hasteten sie heran. Juli stieß einen quäkenden Laut aus, das Mädchen hob den Kopf – wo hatte er diese schwarzen Locken schon einmal gesehen? – ihre Augen weiteten sich, ihr Kopf ruckte zu ihrem Begleiter herum. Ohne dessen Regung abzuwarten, stürzte sie auf sie zu, rief: „Hedwig?“, und noch einmal: „Hedwig!“
Sofort war Zimtfresse bei ihr, hielt sie fest und raunte: „Wen haben wir denn da?“
„Appel!“, rief Hedwig.
Der junge Mann kam heran.
„Hedwig“, flüsterte er tonlos, dann wanderten seine Augen vom einen zum anderen, sie wurden dunkel vor Zorn, als er sagte: „Lasst sie los!“ Ryss dünkte, der Junge begriff, was hier vor sich ging, denn er wandte sich
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